Josef Pilgerstorfer (1923-2000) wurde genauso wie sein Kamerad Franz Weidinger (1923-2013) aus St. Martin am Ybbsfelde zur 2. Pz.-Div. einberufen.
Längst vergessen waren die Kriegsaufzeichnungen von Josef Pilgerstorfer. Der 1923 geborene Grünbacher diente ab 1942 in der deutschen Wehrmacht sowohl an Ost- und Westfront. Aufgrund einer schweren Kriegsverwundung, die den Verlust des rechten Armes nach sich zog, durfte er im Dezember 1944 heimkehren. Josef zählte zu den Gründungsmitgliedern des Grünbacher Kameradschaftsbundes. Seine akribischen Memoiren aus der Kriegszeit, welche er 1956/57 unter dem Titel „Mit der 2. Panzerdivision in Ost und West“ verfasste, übergab seine Tochter Johanna erst Jahrzehnte später an den örtlichen Kameradschaftsbund.
„Mit der 2. Panzer-Division in Ost und West “
Die Pflicht ruft.
Im zarten Alter von 18 Jahren zu den Waffen gerufen.
Am Ostersonntag des Jahres 1942 habe ich den Einberufungsbefehl zur deutschen Wehrmacht erhalten. Es war kein erfreuliches Ostergeschenk, doch der unselige zweite Weltkrieg hat schon so viele Opfer gefordert, dass selbst schon die 18-jährigen Burschen zu den Waffen gerufen werden mussten. So nahm ich es als eine Fügung Gottes willig und ergeben an, ohne jedoch die Tragweite dieses Geschehens richtig ermessen zu können.
Der Pflicht gehorchend, bin ich dann am 14. April 1942 zu den 10er Schützen nach Frankstadt in Mähren eingerückt. Es war mein erstes Abschiednehmen von daheim und es war daher, durch die Umstände, die zum Einrücken zwangen, besonders schwer, weshalb mich mein Vater bis Linz begleitete.
In Gottes Namen und dem Schutze Mariens empfohlen, bin ich fort in die weite, böse Welt, in der ich nun so allein war, und mit allem allein und selbst fertig werden musste. In diesen Stunden der ärgsten inneren Depression und Verlassenheit schickte mir das Schicksal den ersten Kameraden, nämlich Karte Anton aus St. Leonhard bei Freistadt, der auch zur selben Kompanie wie ich einrücken musste. Wir haben gleich Freundschaft geschlossen, so war uns die Fahrt, die über Wien Lundenburg, Hullein und Kremsier ging, nicht mehr so eintönig wie am Anfang.
Am 16. April nachmittags kamen wir in Frankstadt, einem kleinen Garnisonsstädtchen wie Freistadt, bei viel Schneematsch an. Mit dem Schritt durch das Kasernentor tat sich schon nun auch uns eine ganz neue Welt auf. Am nächsten Tag begann schon das Kasernenleben. Anton kam zu einem anderen Zug als ich, und ich musste schon am anderen Tag wegen einem alten Nierenleiden in das Krankenrevier. Während der acht Tage, die ich dort drinnen war, habe ich in der Grundausbildung viel versäumt, was ich nur schwer nachholen konnte. Die kriegsmäßige Ausbildung am Übungsplatz Tichau war hart, dauerte aber nur 2 Monate, denn am 15. Juni wurden wir schon zum Marschbataillon abgestellt. Anton jedoch noch nicht, wodurch wir getrennt wurden und nicht mehr zusammenkamen. Das Marschbataillon wurde in Liesing bei Wien zusammengestellt, wo wir noch drei Wochen gelegen sind. In dieser Zeit habe ich mir Wien ein wenig angesehen. unter anderem auch den Stephansdom mit den Katakomben und auch die Pummerin am Turm. Tief beeindruckt war ich von dem Gesehenen. Am Nachmittag, es war Sonntag der 5. Juli, war für die kranken Menschen eine Andacht, an der ich auch teilgenommen habe. Wegen der großen Entfernung von daheim habe ich leider keinen Sonntagsurlaub bekommen. Daher hat mich der Vater einmal besucht. Inzwischen sind die drei Wochen vorübergegangen und es wurde mit dem Abmarsch ernst.
Auf der Fahrt.
Am 7. Juli kam der Befehl zum Abmarsch. Um 2 Uhr nachmittags fuhren wir vom Nordbahnhof unter sengender Sommersonnenhitze weg. Es hieß Abschied nehmen von der geliebten Heimat und es wurden bittere Tränen geweint ob der Ungewissheit des bevorstehenden. Unwillkürlich fragte man sich, ob man wieder heimkehren werde, aber das Schicksal gab kein Geheimnis preis. Und es war gut so, denn in einer solchen Situation ist es gut, dass man nicht in die Zukunft schauen kann. Ein letztes Lebewohl der Heimat zurufend, und der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen Ausdruck verleihend, entführte uns der Zug der Heimat. Still und starr ist es in den Waggons geworden, in denen wir zusammengepfercht kaum einer vom anderen Notiz genommen haben, nur die Gedanken bewegten sich hin und her. Zuerst in die Vergangenheit zurück, dann in die graue Zukunft dem Zuge weit voraus. Längst schon ist der Heimatboden unseren Füßen entschwunden, aber unaufhaltsam schiebt sich der Zug nach dem Osten vorwärts, der Nacht entgegen. Ob es aus der Nacht der Zukunft noch einen Morgen geben wird? Das Schicksal wird die Antwort geben.
Nun einige Orte in denen wir schon durchgefahren sind: Lundenburg, Prerau, Freudenthal, Ratibor, Gleiwitz, Kattowitz, Kielce und Radon. Am 10. Juli waren wir in Brest-Litowsk auf russischem Boden angekommen. Das Landschaftsbild hat sich im Gegensatz zur Heimat grundlegend geändert. Statt der Berge und Täler sah man hier nur Ebene. Wald und Sand wechselten einander ab. Auch sah man hier schon deutlich die Spuren des Krieges. Die Fahrt wurde immer eintöniger in den riesigen Wäldern Weißrusslands, aber auch gefährlicher. Denn diese Gegend um Minsk war das Zentrum der Partisanen. Unser Zug wurde von diesem Partisanenvolk nicht behindert und so kamen wir am 13. Juli in Smolensk an. Während eines längeren Aufenthaltes dortselbst, sahen wir, dass die Stadt sehr stark zerstört war. Wir sind aber dann doch noch bis Jarzewo, einer kleinen Stadt, weitergefahren, wo wir schlussendlich auswaggoniert worden sind. Sechs Tage hat die Fahrt gedauert mit dem Zug und nun haben wir das erste Quartier in Russland bezogen. Bequem war es gerade nicht, aber wir waren alle froh, dass wir aus dem Zug waren. In den sechs Tagen, an den wir dort gewesen sind, haben wir schon einen kleinen Vorgeschmackt von Russland, dessen Landschaft und auch deren Menschen bekommen.
Nach dieser Ruhe setzten wir uns zum Teil zu Fuß, zum Teil mit dem Auto in österlicher Richtung in Marsch und kamen so am 24. Juli in Krisniki zur 2. Panzer-Division und waren somit am Ziel. Ich kam zum Panzergrenadier-Regiment 2, 5. Kompanie, mit der Feldpostnummer 21745.
Der erste Einsatz.
Am 2. August kam der Befehl zum Einsatz. Der Russe hat auf breiter Front angegriffen und die Stellungen überrannt. Ein banges Zittern ging durch unsere jungen, unerfahrenen Soldatenleiber. Denn der Ernst der Lage war nun erkannt und wir mussten zum grausamen Handwerk des Krieges greifen. Vielleicht war es ein Blick zum Himmel, der uns Mut und Kraft verlieh, dem Tod nun offen ins Auge sehen zu können.
Die Feuertaufe, das Bitterste vom Kampf, haben wir von Tieffliegern empfangen, was für uns Neuangekommen entsetzlich war, da wir dabei schonen einen toten Kameraden hatten. Wie gelähmt lagen wir am Boden und wussten nicht, was nun werden sollte. Es dauerte nicht lange bis der Befehl, so hart und so bitter, kam, zum Kampf gegen den Russen anzutreten. Mit Unterstützung schwerer Waffen konnten wir den Russen bis tief in den Wald hinein zurückdrängen und besetzten die Ortschaft Glatkoje. Auf einer davor gelegenen Anhöhe gingen wir in Stellung und sicherten so ein paar Tage gegen die angreifenden Russen. Inzwischen hat ein tagelanger Regen eingesetzt, der uns den Kampf sehr erschwerte. Zusätzlich wurde durch die vielen Ausfälle an Kameraden und dem Versagen der Waffen durch das Regenwetter der Kampf immer aussichtsloser.
In diese Situation der Hoffnungslosigkeit geraten, lagen wir mit durchnässten Kleidern in den Kornfeldern und wussten nicht, wie das enden werde. Geist und Körper waren in diesen Tagen so angestrengt, dass wir den Kampf willenlos über uns ergehen ließen und an die Heimat zu denken, waren wir nicht im Stande.
Es war am 12. August, ich lag alleine ohne Verbindung mit meinen Kameraden zu haben, inmitten eines Kornfeldes, als der Russe zum Großangriff antrat, dem wir nicht mehr standhalten konnten. Ein massives Sperrfeuer unserer Panzer hielt den Russen in Schach bis wir dann vor Einbruch der Dunkelheit die Stellungen aufgeben mussten. Mein Gruppenführer, Obergefreiter Nolz, holte mich doch noch rechtzeitig aus meiner Einsamkeit, damit ich nicht von den Russen gefangen wurde. Fluchtartig verließen wir unsere Stellungen und das Dorf, das alsbald in hellen Flammen stand, welche uns die stockfinstere Nacht wieder etwas erhellten. Leider mussten unsere ganzen schweren Waffen, Panzer und Artillerie in einer Mulde gesprengt werden, weil sie im Dreck stecken blieben. Nun setzten wir die Flucht zu Fuß durch den stockfinsteren Wald zurück.
Am 13. Auguste musste unser Zugführer, Oberfeldwebel Müller mit einigen Männern am Waldrand in der Ortschaft Dubki als Nachhut den Rückweg versprengter Truppen sichern und das Nachfolgen der russischen Truppen melden. Den ganzen Tag lagen wir daher im Artilleriefeuer und mussten am Nachmittag, als der Russe das Dorf besetzte, in aller Stille dieses verlassen. Das Regiment ist in der Hölle von Kamanova auf hundert Mann zusammengeschmolzen. Kamanova selbst musste auch aufgegeben werden nachdem es vorher vom Feuer zerstört worden war. Als nun die Division beisammen war, bezogen wir neue Stellungen, um uns zur Verteidigung einzurichten. Am 15. August starteten wir einen Angriff auf das Dorf Leuschino, zogen uns aber nach der Einnahme wieder zurück, um nicht von den Russen umgangen zu werden. Bald sah man schon russische Panzer am Waldrand auffahren, was auf einen neuerlichen Angriff schließen ließ. Das aufs neue einsetzende Regenwetter benützte der Russe zum Angriff und es entwickelten sich heftige Wald- und Nachtgefechte. Aus dieser schwierigen Lage wurde ich durch mein altes Nierenleiden, aufgrund einer Verkühlung, herausgebracht und kam für einige Tage zum Tross. Ich war froh, dass ich einige Tage Ruhe hatte, und so einen gefahrvollen Kampf nicht mitzumachen hatte. Am 30. August haben wir den Wald aufgegeben und damit war der Kampf um Kamanova beendet.
In den Gshatsk-Stellungen.
Am 1. September haben wir die Gshatsk-Stellungen bezogen. Anscheinend hatte der Russe mit der Eroberung von Kamanova und dem großen Walde rundherum sein angestrebtes Ziel erreicht und es wurde im Mittelabschnitt ruhig an den Fronten. Für uns begann nun ein sicheres und annehmbares Soldatenleben. Aus der Heimat kam Ersatz mit dem die Lücken aufgefüllt wurden und so begann ein Kameradschaftsgefühl unter uns zu entstehen, was die einzelnen Gruppen zu einer festen Familie zusammenschmiedete. Unteroffizier Pelmer aus Bochum, die Obergefreiten Werner und Klaus aus Wien und wir, die Jungen Weidinger, Riegler, Guttwillinger, Rathauser und ich. Hüben wie drüben herrschte Ruhe die nur durch vereinzelte Schreckschüsse oder kleinen Spähtrupps unterbrochen wurde.
In diesen Tagen haben wir zwei, Weidinger und ich, ein unzertrennbares Freundschafts- und Kameradschaftsband geschlossen, dass uns unser ganzes Leben lang verbinden soll. Wir waren dadurch so eng einander verbunden und fühlten uns einander verpflichtet, so fest war unsere Kameradschaft im Herzen verankert. Oh, es ist gut einen solchen Kameraden an der Seite zu haben, mit dem man sich vom Herzen aussprechen kann und Freud und Leid mitsammen teilen kann. Oft sind wir mitsammen auf Posten gestanden und haben von der Vergangenheit geträumt. Denn vor uns lag der Zukunft Grauen, hinter uns verborgenes Glück.
Der Herbst ist mit einem schönen Wetter gekommen, was ja nach dem verregneten Sommer sehr angenehm empfunden wurde. Mit der Feldpost waren wir mit der Heimat verbunden, jedoch auf die russische Propaganda, durch Lautsprecher wurde uns zugerufen, wir sollten zu ihnen kommen, wenn wir die Heimat wieder sehen wollen, was uns durch das darauffolgende schöne Heimatlied eigentlich doch irgendwie zu Herzen sprach, gingen wir nicht ein.
Hinter uns war freies, fruchtbares Ackerland. Einige Orte der näheeren Umgebung waren Gshatsk mit einem großen Soldatenfriedhof, Noviki, Krutizi, Istrati, Betitschunka, wo Oberfeldwebel Müller begraben liegt, und Schlatistowo. In diese Orte kamen wir öfters zu Unterhaltungen und sanitären Maßnahmen. Inzwischen war es November geworden und es begann der Herbst das Feld für den Winter zu räumen. Vom 4. bis 18. November kam unsere Kompanie in Ruhe nach Kasarinowo, wo wir auch eine heilige Feldmesse hatten. Als wir dann wieder in unsere Stellungen kamen, haben wir mit dem Bau von Winterstellungen begonnen, um im Winter gut ausgebaute Bunker und Verteidigungsanlagen zu haben. Jeder von uns wünschte, dass wir den Winter in diesem ruhigen Abschnitt verbringen können.
Die Abwehrschlacht bei Rschew.
In den ersten Dezembertagen hat der Russe bei Rschew eine neue Offensive begonnen bei der er beträchtliche Geländegewinne erzielen konnte. Wir wurden sofort dorthin kommandiert und sind im Eiltempo mit den Fahrzeugen nach Norden gefahren. Es ging durch Schitschevka, Scharino und Lowotog, wo wir in Bereitstellung gegangen sind. Der Angriff erfolgte über freies, schneebedecktes Gelände und wir konnten mit Unterstützung von Panzern und schweren Waffen den Feind zum Stehen bringen. Das Kampffeld war mit abgeschossenen russischen Panzern übersät, die uns immer wieder Deckung baten. Es muss in den Tagen bevor wir hingekommen sind eine große Panzerschlacht stattgefunden haben. Als aber unser Angriff am Nachmittag im Feuer der russischen Übermacht zum Erliegen kam, richteten wir uns zur Verteidigung ein. Mein guter Kamerad Weidinger und ich waren noch gesund, obwohl viele Kameraden ausgefallen waren. Wir richteten uns einen Kampfstand zurecht, konnten uns aber kaum einen halben Meter in den Erdboden eingrabe, weil er nun so gefroren war. Hinter oder bei den abgeschossenen Panzern war es nicht mehr ratsam, in Deckung zu gehen, denn diese hat der Russe als Zielscheibe für seine Panzerkanonen aufs Korn genommen. So standen wir Tag und Nacht, bei einem unheimlichen Schneesturm, und einem Hagel feindlicher Granaten sämtlicher Kaliber, ohne Schutz im Kamp. Der Schnee war ganz schwarz ob des vielen Pulverdampfes der berstenden Granaten.
In diesen Schreckenstagen hat sich unserer beiden Freundschaft auch hundertfach bewährt. Das Band der Kameradschaft wurde immer stärker und so haben wir einander und füreinander das schwere Los dieser Tage geteilt und getragen. Ja, aber der Schutz den wir hatten, dass uns nichts geschehen ist, wo kam dieser her? Hat sich da uns die Güte Gottes nicht genug erkennbar erwiesen? Und hat da der heilige Schutzengel nicht groß genug seine Hand über uns gehalten? Und war es nicht unsere himmlische Mutter Maria, die so mächtig ihren Schutzmantel über uns gebreitet hat? Ja, und tausend Mal ja, wir haben dort einen übernatürlichen Schutz gehabt, dass wir heil durchgekommen sind.
Das Weihnachtsfest war vor der Tür und wir standen inmitten des Hasses und des Zornes, des Mordens und der Finsternis. Aber in uns beiden, Weidinger und mir, regte sich kein Zorn und kein Gedanke des Mordens ob der schrecklichen Stunden. Nein, unsere Herzen schlugen höher und wärmer, als ich in diesen Tagen ein Weihnachtspaket aus der Heimat erhielt. Ich glaube, unsere Augen haben damals heller geleuchtet als wir das Paket geöffnet haben und obenauf einen Tannenzweig aus der Heimat lag, das christliche Sinnbild der Hoffnung. Unser Kampfstand ist nun inmitten der berstenden Granaten zu einer Oase des Friedens geworden.
Als in der kommenden Nacht das Essensfahrzeug kam, gingen wir nicht mit, weil wir ohnehin noch vom Weihnachtspaket hatten und wir sind dadurch dem sicheren Tod entgangen, denn das Essensfahrzeug hat einen Volltreffer bekommen. Dabei wurden alle Kameraden getötet oder schwer verwundet. So hat uns die Mutter, die mir das Paket geschickt hat, neben dem vielen Gebet für mich, auch auf diese Weise das Leben gerettet. Eine Mutter vermag viel zu tun für ihre Kinder.
Am anderen Morgen, es war der 16. Dezember, verstärkte der Russe sein Trommelfeuer ganz gewaltig. Besonders mit den gefürchteten Stalinorgeln. Und er setzte zum Angriff an. Massenhaft sah man seine Infanterie auf uns zustürmen, sodass es nur so wimmelte. Aber jetzt griff unsere schwere Waffe entscheidend in den Kampf ein und entlastete uns sehr. Schwere Sturmgeschütze und Panzer legten ein mehrstündiges Sperrfeuer vor dem Russen und brachten so den Angriff zum Stehen. Unterdessen haben Weidinger und ich den Rest des Paketes gegessen, denn der Russe soll nichts mehr davon erwischen. In der Abenddämmerung haben wir dann die Stellungen aufgegeben und sind unter Mitnahme der letzten Toten bei grimmiger Kälte von diesem Abschnitt weggezogen.
Mit den Fahrzeugen sind wir die Nacht durchgefahren und vermutlich an der Südflanke dieses Einbruches in Stellung gegangen. Wir, die 5. Kompanie, waren zuerst Regiments-Reserve und haben in Blaguscha Quartier bezogen. Dort haben wir auch Weihnachten in Ruhe verbringen können, denn auch an der Front war es wieder ruhig geworden. Es waren unsere ersten Weihnachten an der Front und obwohl ein Christbäumchen brannte, sehr kühl. Ist auch verständlich, wo doch jeder mit Gedanken daheim war: „Stille Nacht. Heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht nur das traute hochheilige Paar …“
Das neue Jahr 1943 begann für uns mit einem Feuerüberfall der Russen. Nun waren auch für uns die vierzehn Tage der Ruhe wieder um, und wir mussten die 6. Kompanie ablösen, deren Stellungen wir auf der „Girofka-Höhe“ bezogen haben. Dort waren wir immer vom Feind eingesehen, dass wir bei Tag nicht ablösen gehen konnten und wir von der früh bis abends auf Posten bleiben mussten.
So ein Tag dauerte selbst zu dieser Jahreszeit lange, denn jetzt hatten wir hauptsächlich mit dem Feind der Jahreszeit zu kämpfen. General Winter hielt uns mit seinen Legionen in Schach. Bei 40 Grad Kälte und einem heftigen Schneegestöber lagen wir, besser gesagt hockten, wir in unseren vom Schnee bedeckte und verwehten Schneelöchern, aus denen man sich ab und zu befreien musste. Scheinbar hatte der Russe auch Respekt vor seinem Rivalen „Winter“ gehabt, weil es ruhig war. In diesen Schneelöchern versunken, haben auch mein guter Kamerad Weidinger und ich so manchen Tag verbracht, der uns immer der Heimat ein Stück näher brachte. Den man musste immer wieder gegen die Kälte kämpfen und das tat man am besten durch das Ablenken der Gedanken vom Winter. Also, es wurde von der lieben Heimat gesprochen, von den Bergen und Tälern, den Wäldern und Flüssen, vom Vaterhaus und der Familie. Und diese Gespräche haben unsere Kameradschaft so erwärmt, dass selbst der eisige Winter uns nichts anzuhaben vermochte. Als der Schneesturm aufhörte und die langen Nächte hell und klar wurden, waren es die Sterne, die uns der Heimat näher brachten. Oft ging damals das schöne Lied: „Heimat deine Sterne, sie strahlen mir am fremden Ort …“, durch den Sinn. Wenn man am Abend abgelöst wurde, fand man aber keinen warmen Bunker vor. Denn es gab kein Brennholz. Dieses musste von weit rückwärts herangeschafft werden. Es gab keinen Tisch, keine Tür, kein Stroh zum Darauflegen, nicht einmal einen Ofen. Ganz armselige war unser Dasein, was erst recht im schlechten und kalten Essen zum Ausdruck kam.
Einmal bin ich beim Essenholen in eine Salve der Stalinorgel gekommen, doch wie ein Wunder wurde ich nicht verwundet. Einige Orte der näheren Umgebung waren: Nikolskoje, Knefka, wo sich ein großer Heldenfriedhof befand, Dalitza, Sofino, Krigovo und Klepen.
Inzwischen war Stalingrad gefallen, was unsere Führung veranlasste, die Front bei Rschew zu begradigen, damit es hier nicht so werde wie dort. Wir haben uns daher in der Nacht auf den 5. März 1943 vom Feind gelöst. Wir waren am vordersten Winkel der Front und haben uns in aller Stille nach rückwärts abgesetzt. Im Zuge dieser Aktion wurden Rschew, Schitschewka und auch Wjasma aufgegeben. Alles wurde zerstört und die Orte niedergebrannt. Dadurch wurde der nächtliche Himmel hinter uns glutrot gefärbt. Ein erschreckendes Bild des Grauens. Schutt und Asche wurde dem Feind überlassen und damit das Kampffeld Rschew geräumt.
In Ruhe an der Beresina.
Wir, die 2. Panzer-Division, wurden infolge der Frontbegradigung bei Rschew frei und fuhren mit den LKWs bis 60 Kilometer hinter Smolensk, wo wir in der Ortschaft Comino, unweit der Beresina, Quartier bezogen haben. Mit dem Eintreffen des Ersatzbataillons wurden wir in die größere Ortschaft Schlobotitschi verlegt. Inzwischen ist der Frühling gekommen und wir haben mit den Übungen begonnen, die an Umfang und Zeit immer zunahmen, bis die große Divisionsübung am Truppenübungsplatz Gusino, bei der wir mit den Schlauchbooten über den Dnepr übergesetzt sind, den Höhepunkt und Abschluss bildete. Aber auch für Geist und Gemüt wurde Erholung geschaffen. Kino und Frontbühnen wurden eingeladen. So gastierte auch die berühmte „Hans Leitner Bühne“ einmal in Lubawitsche, die mit ihrem Programm reichen Beifall erntete.
Am 22. April kamen wir dort weg und fuhren nach Rudnja zur Bahn. Anscheinend stand uns eine längere Reise bevor, doch niemand wusste, wohin es geht. Es war gerade Karwoche und wir sind, nachdem wir alles verluden, am Morgen des 24. April, es war der Ostersonntag, in südliche Richtung gefahren. In Kalinkowitschi, Roslawl und Brjansk sind wir durchgefahren und kamen am Ostermonat abends in Orel an. Aber sogleich sind wir mit den Autos weitergefahren und bei stockfinsterer Nacht in Seninaja, ungefähr 50 Kilometer südlich von Orel, angekommen.
Am anderen Tag haben wir in der Nähe des Ortes in einem Eichenwald uns biwakmäßig eingerichtet. Wir sind in eine uns ganz neue Gegend gekommen, mit einem abwechslungsreichen Landschaftsbild. Fruchtbare Kornfelder wechselten sich mit Eichenwäldern ab und kleine Berge und Hügel wurden durch die Oka mit dem lehmig gelben Wasser voneinander getrennt. Nun noch einige Orte dieser Umgebung: Kromy, Bloti, Novotrotsky und Priwolnje. Dienst gab es da nicht mehr viel und schönes Wetter herrschte auch. So war es auch ganz angenehm dort.
Jetzt war auch die Urlaubsfrage für uns aktuell geworden und so konnte mein guter Kamerad Weidinger am 1. Mai in Urlaub fahren. Am 1. Mai hatten wir dann auch eine Feldmesse, die wieder unser Divisionspfarrer Jost gehalten hat.
Unsere Hauptarbeit bestand aus dem Bau einer Freilichtbühne an einer idyllischen Lage einer Berglehne. Inmitten eines Eichenwaldes haben wir täglich mit Krampen und Spaten gearbeitet bis die Erdbewegung abgeschlossen war. Dann kamen Bretter und es wurde eine Bühne mit einer Menge Sitzbänken zurechtgezimmert. Unterdessen haben alle im Regiment vorhandenen Musiker, Komiker und Spaßmacher fleißig geübt. Am 31. Mai fand sodann die feierliche Eröffnung dieser Bühne, die als „Theater an der Wien“ bezeichnet worden ist. Natürlich war alles auf „wienerisch“ abgestimmt, von Musik und Gesang bis zu Humor und Gemüt. Es schlugen wirklich die Herzen höher dabei. Den größten Beifall erntete eine Komikergruppe von der 6. Kompanie, die alle Offiziere bis zum General, in einer Weise angriff, dass sie ihnen alle ihre Launen und Fehler beträchtlich ins Spaßhafte zerrten. Erwähnt seien hier Oberstleutnant Buck wegen seines großen Brustbeutels und Hauptmann Monschau wegen seines Verkehrsministeriums. Ein Platzregen hat diesem fröhlichen Treiben ein jähes Ende bereitet.
Der erste Urlaub.
Am 1. Juni 1943 konnte ich, noch bevor Weidinger vom Urlaub zurückkam, in den langersehnten Urlaub fahren und kam am 7. Juni daheim an. Es war der erste Urlaub in meiner Soldatenzeit. Die Freude war bei meinen Eltern und Schwestern, sowie bei mir selbst umso größer. Besonders, dass ich nach so schweren Kampftagen in den 14 Monaten seit ich von daheim fort war, wieder gesund heimgekommen bin.
Die drei Urlaubswochen gingen ebenso schnell vorüber, wie die schweren Kampftage an der Front und so musste ich am 28. Juni wieder fort nachdem ich noch tüchtig bei der beginnenden Heuernte mitgeholfen habe. Schwerer war jetzt der Abschied von daheim. Denn ich kannte den Krieg mit seinem furchtbarem Geschehen und wusste, das mir nichts anderes bevorstand. Die Fahrt ging jetzt über die Urlaubersammelstelle Wolkowisk nach Orel.
Im Kampfabschnitt Orel.
Dort bin ich am 2. Juli 1943 angekommen und habe mir, weil es die Zeit erlaubte, die Stadt etwas genauer angesehen. Ich musste feststellen, dass diese Stadt einen viel freundlicheren Eindruck auf mich gemacht hat, als die Städte im Norden der Mittelabschnittsfront. Die Ursache desselben wird wohl die Umgebung der Stadt, der fruchtbare Boden, nicht zuletzt aber das mildere Klima dortselbst gewesen sein. Die Oka fließt durch die Stadt und es reiht sich Hügel an Hügel. Im Soldatenheim bin ich über Nacht geblieben und am anderen Tag, den 33. Juli, bin ich weitergereist, da ich an der Frontleitstelle erfahren habe, dass meine Division den Standort gewechselt hat. Bald aber habe ich ein Auto von unserer Division angetroffen mit dem ich gleich zum Divisionsstab gefahren bin, der noch in Novotrotsky lag. Zu meiner Kompanie kam ich am 4. Juli. Sie lag im Bereitstellungsraum und musste den Verkehr an einer wichtigen Straßenkreuzung regeln. Die Freude bei meinen Kameraden, besonders bei Weidinger und Ecker aus Wels, dem ich von seiner Mutter ein Paket mitnahm, war sehr groß. Hingegen war ich von meiner Ankunft unter diesen Umständen nicht besonders begeistert. Denn die Division stand unmittelbar vor einer großen Offensive. Es war eine Kesselschlacht zwischen Kursk und Belgorod geplant. Genau zu dieser bin ich gerade noch recht gekommen. Schnell wurden die Urlaubserlebnisse und Urlaubsfreuden erzählt und die Kameradschaft aufs Neue beschlossen.
Schon am nächsten Tag, dem 5. Juli, wurde im Morgengrauen die Offensive begonnen. Pausenlos warfen unsere Bomber ihre vernichtende Last in die russischen Stellungen und Nachschubstraßen, was nun auch der Russe tat. Wir, die 2. Panzer-Division, waren als zweite Angriffswelle noch weiter rückwärts. Doch die Bomber setzten uns ordentlich zu. Das Munitionsfahrzeug bekam einen Volltreffer und so waren wir ohne größeren Munitionsvorrat unmittelbar hinter der Front, doch diese wurde bald nachgeschafft. Aber auch geistiges Rüstzeug mussten wir uns mitnehmen und so haben wir unsere himmlische Mutter und den heiligen Schutzengel um ihren Beistand angefleht.
Dass dieser Kampf ein harter werde, sah man schon am ersten Tag. Denn der Russe war gut in der Verteidigung und setzte sämtliche schwere Waffen gegen uns ein. So mussten wir schon am zweiten Tag dieses Kampfes die Lücken der ersten Angriffswelle ausfüllen und wurden in den Kampf geworfen. Meter um Meter wurde in den riesigen Kornfeldern gekämpft, was auch verständlich war. Immerhin kämpfte der Russe um sein Vaterland. Auf beiden Seiten wurden alle zur Verfügung stehenden Waffengattungen in reichem Maße eingesetzt, was diesen Kampf als Materialschlacht zu bezeichnen rechtfertigt. Aber an Menschen war uns der Russe weit überlegen und so kam es auch, dass wir nicht mehr vorwärts kamen. So kam jener denkwürdige und grauenhafte Nachmittag des 7. Juli 1943. Ein unvergesslich, schmerzlicher Tag. In einem großen Kornfeld lagen wir. Den Befehl zum Angriff auf die Höhe 200 abwartend. Als russische Kampfflugzeuge auf uns ihre Bomben abwarfen. „Mein Gott, nun ist es aus mit uns.“, waren meine Gedanken, als ich sah, wie die Bombenlast abgeworfen wurde. Weidinger und ich lagen im Graben hintereinander. Dann ein kurzes Pfeifen, worauf ein furchtbarer Krach folgte. Für Augenblicke war das Bewusstsein weg. Dann aber, nach Luft ringend, fühlte ich, dass mir nichts fehlte. Ich öffnete die Augen und sah nur Rauch und Pulverdampf rund um mich.
Mein erster Gedanke war nun: „Was ist mit Franz?“ Aber welch ein Bild des Entsetzens bot sich mir da. Franz lag fast verschüttet vor mir. Ganz dicht neben ihm ist die Bombe niedergesaust und ihn an beiden Füßen schwer verwundet. Unser Gruppenführer, Unteroffizier Baier, hat es auch noch erwischt. Er trug eine Lungenquetschung durch den Luftdruck davon. Mit schwerem herzen und unter Aufbietung aller Kräfte haben wir nun meinen lieben, guten Kameraden ausgegraben und zum Sanitätswagen geschleppt. Dort musste ihm sogleich ein Fuß abgenommen werden. Ein schweres Los hat ihn getroffen, das schon so viele vor ihm getroffen hat und noch so viele nach ihm treffen wird.
Kamerad Josef Ecker (geb. 29.12.1922; gef. 10.7.1943) aus Wels fiel, wie soviele andere auch, im Juli 1943 bei den Kämpfen um Orel.
„Ich hatt’ einen Kameraden, einen bessern findst du nicht, die Trommel schlug zum Streite, er ging an meiner Seite, im gleichen Schritt und Tritt!
Eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir oder gilt sie dir. Ihn hat es weggerissen, er liegt mir vor den Füßen, als wär’s ein Stück von mir!“
Nun lag ich alleine vor dem Feind. Niemanden sah ich mehr von uns, weder links von rechts. So entschloss ich mich zur Umkehr und lief soweit es meine Kräfte noch erlaubten zurück.
In einem großen Bombentrichter fand ich dann ein Häuflein verwundeter Kameraden und vielleicht noch einige Offiziere, die vom Regiment oder von der Nachrichten-Abteilung die Verbindung aufrechterhalten sollten. Bis am Abend hat sich der Rest der Division gesammelt und wir mussten dann unsere Toten vom Schlachtfeld bergen. Eine bittere Aufgabe war dies. Denn es waren so viele an diesem Tage, die wir fern der Heimat, in feindlicher Erde bestattet haben. Es war ein Tag des Schreckens.
Die von unserer Führung geplante Offensive hat sich ins Gegenteil verkehrt. Nun hat der Russe auf breiter Front eine Offensive gestartet und wir mussten fast verblutet den Rückzug antreten. So fuhren wir mit den Autos in den Kampfabschnitt nördlich von Orel.
Am 12. Juli wurden wir dort eingesetzt und nahmen bei einem Nachtgefecht eine Ortschaft ein. Am 13. Juli haben wir im Nahkampf große Kornfelder von den Russen gesäubert und kamen am Abend in eine Mulde, in der wir Rast hielten. Während ein Spähtrupp ausgeschickt wurde, legten wir uns vor Müdigkeit um. Wir schliefen sofort ein. Von der Hitze des Tages und des Gefechtes ganz erschöpft, wurde uns dieser Schlaf zur Seligkeit. Als ich erwachte, war es stockfinstere Nacht und wusste in meinem Unterbewusstsein gar nicht, wo ich mich befinde. Allmählich kam die Erinnerung wieder über das Gewesenen und ich musste mit Entsetzen feststellen, dass ich ganz alleine bin. Die Kameraden waren alle fort und haben mich liegen gelassen. Oder haben sie mich doch geweckt und ich bin nicht wach geworden? Mein Gott, was soll ich nun anfangen? Wohin soll ich gehen? Eine Weile hielt ich so Rat mit mir selbst, doch da sah ich unweit von mir ein kleines Feuer brennen, auf das ich mit bangem Herzen und zaghaften Schrittes zuging. Alle Heiligen Gottes habe ich um Hilfe und Rettung aus dieser peinlichen Situation angerufen. Werden Deutsche oder Russen dort beim Feuer sein? Ich horchte und spähte. Plötzlich konnte ich deutsche Worte vernehmen, bei denen mir eine schwere Last vom Herzen gefallen ist. Ich erzählte ihnen mein Missgeschick und bat sie, dass ich bei ihnen bleiben dürfe bis ich meine Einheit wieder gefunden hätte. Diese Nacht blieb ich dort bei dieser Infanterie-Division und im Morgengrauen machte ich mich auf die Suche nach meiner Einheit. Wie von einer höheren Macht geführt, ging ich, nachdem ich mich einigermaßen orientiert hatte, in eben die Richtung, wo ich sie finden könnte. Es dauerte wirklich nicht lange bis ich meine Kompanie wieder gefunden hatte. Von ganzem Herzen dankte ich Gott für die gütige Führung zu meinen alten Kameraden.
Die nächsten Tage verliefen ruhiger und wir durchstreifen die Kornfelder nach allen Richtungen, weil keine ordentliche Kampflinie bestand. Am 17. Juli aber, wir lagen vor einem Wäldchen im Kornfeld, griff uns der Russe mit starker Infanterie an. Mit einem furchtbaren Kampfgebrüll kamen die Russen Mann neben Mann auf uns zu. Wir mussten dieser Übermacht weichen und zogen uns zurück. Aber bald machten wir einen Gegenstoß und eroberten das Wäldchen wieder. Dabei rollten drei russische Panzer über unsere Stellungen hinweg, vermutlich ein Spähtrupp. Diese sind aber gleich wieder zurückgefahren, woraufhin wir uns in eine alte Artilleriestellung zurückzogen. Darin verbrachten wir den 18. Juli als Ruhetag.
Am 19. Juli wurden wir wieder in den Kampf gezogen, doch es ereignete sich nichts von Bedeutung. Am Abend begannen wir noch mit dem Bau von Stellungen. Wie wir hörten, will sich der Russe zu einer neuen Offensive anschicken.
Ein ganz schwarzer Tag.
Es war der 20. Juli 1943. Schon im Morgengrauen begann der Russe mit der Beschießung unserer Stellungen. Nach und nach verstärkte er das Feuer mit allen schweren Waffen und es ging über uns ein mehrstündiges Trommelfeuer nieder. In banger Erwartung harrten wir nun auf den Angriff der Russen, der zu der Zeit erfolgte, als unsere seelische Verfassung bis auf den letzten Rest zerrüttet war, und wir nicht mehr im Stande waren, Widerstand zu leisten. Soweit man in der Ebene nach links und rechts sehen konnte, sah man die Russen in rauen Mengen auf unsere Stellungen zustürmen. Eine großangelegte Offensive hat somit beginnen durch die der Russe allem Anschein nach Orel eroberten wollte. Obwohl von unserer Seite die schweren Waffen nicht planlos eingesetzt wurden, vermochten sie keine Wendung zu unseren Gunsten herbeiführen und wir waren gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Panikartig stürmten wir zurück, denn der Russe war in seiner Siegessicherheit nicht mehr zum Stehen zu bringen. Zur Mittagszeit erreichten wir hinter den Resten eines Dorfes einige Panzerspähwagen, mit denen wir die weitere Flucht fortsetzten. Von den russischen Panzern gejagt und schier zu Tode gehetzt, erreichten wir unsere Fahrzeuge an der Rollbahn Bolchow-Orel.
Vier Autokolonnen nebeneinander fuhren auf der Rollbahn in Richtung Orel, wobei es auch erhebliche Verkehrsstockungen gab. Pferdefuhrwerke, Infanterie und was auf der Straße nicht mehr Platz gehabt hat, fuhr und lief nebenher. Es war ein furchtbarer Anblick diese große Flucht mitanzusehen. Es schien als ob die ganze Ostfront in Rückwärtsbewegung wäre. Daher konnte auch kein Offizier und General die Lage durch seine Befehle ändern. Wie viele Kameraden sind dabei an Erschöpfung zusammengebrochen und sind so, lebendig oder tot, dem Feind in die Hände gefallen?
Am Abend desselben Tages erreichten wir die Stadt Orel, die nun einem einzigen Heereslager glich. Hier war der erste Halt und es wurde ein Verteidigungsring um die Stadt gezogen. Orel musste noch gehalten werden bis der Raum östlich davon von unseren geräumt war. Wir gingen am nächsten Tag am westlichen Ufer der Oka in Stellung und verbrachten dort einige ruhige Tage. Inzwischen wurden in Orel alle Brücken und größeren Bauten mit großen Sprengladungen versehen. Vollständig zerstört sollte der Russe die Stadt nach der Rückeroberung vorfinden.
Am 1. August 1943 sind wir, während Orel in Schutt und Asche versank, von dort weggezogen. Damit schloss das Kapitel „Orel“ für die deutsche Kriegsführung mit einer schweren Niederlage. Für den einzelnen Soldaten aber wurde Orel zum Inbegriff seine Soldatenehre. Was dort, jeder einzelne an Mut, Opfer und Einsatz seines Lebens in den Kampf geworfen hat, gipfelt im Wort „Pflichterfüllung“. Und daraus erwuchs das hohe Ideal der Kameradschaft. So wie sie im Buch von Dr. Michels „Dreimal Orel“ so schön geschildert wird.
Im Abwehrkampf am Jelnja-Bogen.
Unser neuer Einsatzbefehl führte uns wieder in den waldigen Mittelabschnitt und wir fuhren mit den Autos durch den großen Brjansker Wald, Roslawl und Karatschew vorbei bis nach Jelna. Am 8. August wurden wir dort wieder eingesetzt und gingen am Artilleriegraben in Stellung. Der Jelna-Bogen, wie dieser Abschnitt genannt wurde, hatte noch ein zweites Grabensystem, den Panzergraben. Auf diesem machten wir am 9. August einen Angriff und eroberten ihn. Vor uns befand sich ein tiefer Graben über den die Panzer nicht fahren konnten. Hinter diesem Erdaufwurf hatten wir gute Stellungen.
In den Nachmittagsstunden startete der Russe jedoch den üblichen Gegenstoß, konnte aber nichts erreichen. Als später drei russische T-34 Panzer angefahren kamen, gab es für uns eine heitere Episode. Alle drei wollten durchweg über den Panzergraben fahren, doch der erste blieb im Graben stecken. Der Zweite wollte umkehren, stürzte aber frontal in den Graben und der Dritte wurde auf der Rückfahrt von unserer Artillerie kampfunfähig gemacht. Trotz der schwere des Kampfes mussten wir herzlich lachen über deren Misserfolg.
Kurz darauf, während ich mit dem MG in Stellung war, passierte es. Von der linken Flanke kam ein Infanteriegeschoss daher. Ein Russe hatte meinen Kopf anvisiert, aber zu tief geschossen. Welch ein Glück. Ich wurde „nur“ an der linken Schulter verwundet. Sofort lief ich zurück um zum Sanitätsdienst zu gelangen, achtete dabei aber nicht auf das schwere Artilleriefeuer vom Russen. „Hauptsache von der Front weg.“, war mein einziger Gedanke in dieser Situation. Im Sanitätsauto war gerade noch Platz und so konnte ich gleich mit ins Lazarett fahren. Ein paar Tage lang lag ich in Jelna im Lazarett, dann wurde ich mit dem Lazarettzug weiter zurückgebracht. Meine Verwundung war anscheinend nicht sehr schlimm, denn die Schmerzen waren nicht viel. Schnell hatte ich Bedenken, ob ich in die Heimat verlegt werde. In Minsk wurde der Lazarettzug umgeladen und alle Leichtverwundeten wurden nicht mehr weiterbefördert. So auch ich. Vielleicht haben wir uns dort über die leichte Verwundung beklagt? Doch es war Gottes Wille, dass wir nicht in die Heimat kommen konnten. Ich war zehn Tage auf der Krankensammelstelle und die Wunde, ein glatter Infanteriedurchschuss ohne den Knochen verletzt zu haben, war schon in den Heilungsprozess übergegangen. Wie zu erwarten war, kam ich bald zur Genesungskompanie in eine mit viel Ungeziefer verseuchte Kaserne. Es ging nun schon wieder militärisch zu. Nun habe ich auch Minsk etwas näher kennengelernt. Im Stadtzentrum standen große Häuser. Auffallend war das Haus der Roten Armee, während am Rande nur kleine Holzhäuschen standen. Bekannt ist auch der riesige Bahnhof. Doch der Wald reichte bis an die Stadt heran, wodurch die Partisanen ein leichtes Spiel hatten. Fast täglich, meist bei Nacht, gab es Überfälle. So mussten wir von der Genesungskompanie einige Male ausrücken, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Im September führten wir einmal eine Großrazzia durch. Den ganzen Sonntag über durchstreiften wir die Wälder. Partisanen aber entdeckten wir keine.
Während meines Aufenthaltes bei der Genesungskompanie, spendete ich zweimal Blut für schwerverwundete Kameraden. Dadurch verlängerte sich mein Verbleib in Minsk auf sechs Wochen. Am 4. Oktober wurde ich, ohne Heimaturlaub gehabt zu haben, wieder zur Truppe entlassen.
Auf Suche nach Uborok.
Auf der Frontleitstelle in Minsk erfuhr ich, dass meine Division weit nach Süden verlegt wurde. Sie sollte angeblich nördlich von Kiew liegen. Nun musste ich, da sonst keine Möglichkeit bestand, zurück über Baranowitsche nach Brest-Litowsk fahren, um erst von da in südliche Richtung weiterzufahren. Zur allergrößten Freude traf ich am Bahnhof in Brest Seiberl Toni aus Helbetschlag, der gerade vom Urlaub kam. Er war mir wie ein Bote aus der Heimat. Wir haben so Stunden der Freude und der Besinnung erlebt. Er brachte mir ein Stück Heimat mit, was mich für die Zukunft stärkte. Die Heimat war mir zum Greifen nahe, aber es war nur ein Traum. Als wir am anderen Morgen voneinander Abschied nahmen und jeder zu seiner Einheit fuhr. Ich musste nun über Pinks, Luninets und Kalinkowitschi nach Retschitza fahren, von wo aus ich mich erst auf die eigentliche Suche nach meiner Einheit machte. Aber in dem unwegsamen sandigen mit Sträuchern durchzogenen Gelände, wo weit und breit kein Dorf anzutreffen war, war die Suche bald aussichtslos. Doch wieder war es die gütige Vorsehung Gottes die mich, als ich querfeldein ging, mitten in meiner Hoffnungslosigkeit zu einem Fahrzeug meiner Kompanie führte. Es war dies am 14. Oktober 1943, an meinem 20. Geburtstag. In einem vereinsamten Haus sind wir die Nacht über geblieben und erst am Abend zur Kompanie gekommen. Diese lag in Tschernobyl, einer Ortschaft mit einer Kirche auf einem Hügel. Geografisch lag der Ort direkt dort, wo der Pripjet in den Dnjepr mündet. In diesem Abschnitt ist auch unser Regimentskommandeur Oberst Buck gefallen. Feldwebel Krone ist dort mit seinem Auto unvorhergesehen den Russen in die Hände gefahren. Ich wurde wieder als MG-Schütze eingeteilt und bekam als Kameraden Schernthaner Franz aus Unterach am Attersee zugeteilt. Wir zwei wurden schnell gute Kameraden, doch so fest wie die Freundschaft mit Weidinger wurde unsere Kameradschaft nicht.
Am 16. Oktober 1943 zogen wir schon wieder weiter nach Norden. Unser nächster Einsatz sollte uns in den Raum von Gomel führen. Es stand uns ein harter Abwehrkampf in Uborok bevor. Zuerst eroberten wir im Sturm den Ort und richteten uns außerhalb davon an der Straßenkreuzung zur Verteidigung ein. Die Gegend war wieder sehr waldreich, weshalb auch das Kirchlein gänzlich aus Holz gebaut wurde. Am 28. Oktober mussten wir, wie schon so oft, aber auch Uborok wieder aufgeben. Der Übermacht der feindlichen Infanterie konnten wir nicht mehr standhalten. Die Vierlingsflak wurde im Erdbeschuss gegen die Russen eingesetzt, um den geordneten Rückzug antreten zu können. Unser Regiment wurde jetzt wieder aus dem Kampf gezogen. So hatten wir ab dem 1. November eineinhalb Wochen Ruhe. Doch bereits am 10. November brach der Russe wieder durch und wir mussten aufs Neue in den Kampf eingreifen.
In der „Bären-Stellung“.
Weit und breit war nur Wald wieder Wald. Der Kampf war deshalb doppelt schwer. Ohne schwere Waffen kämpften wir uns bis zur „Bären-Stellung“ vor und richteten uns dort zur Verteidigung ein. Ein gut ausgebautes Grabensystem sollte den Russen aufhalten. Ohne schwere Waffen war es uns aber nicht möglich die russischen Panzer aufzuhalten. Die russischen Panzer rollten auf unsere Gräben zu. Zum Glück wurden sie nicht von Infanterie begleitet. So konnten die Panzer weiter hinten unschädlich gemacht werden. Am nächsten Tag aber entbrannte eine heftige Panzerschlacht kurz vor unseren Stellungen. Unsere Panzer haben gut getroffen. Ein russischer Panzer flog nach dem anderen in die Luft. Eine Panzergranate flog dicht an mir vorbei. Ich konnte den Wind ganz gut spüren. Ein russischer Panzer wurde ganz nahe von meiner Stellung getroffen und explodierte unter einer schier betäubenden Detonation. Die Räder und Teile flogen in die Luft und es war gefährlich davon getroffen zu werden. Wiederum dicht neben mir sauste ein Rad in den Erdboden hinein. In diesen Tagen spürte ich fast den Schutz Gottes. So kam ich Gott sei Dank abermals heil davon.
Da der Russe an der „Bären-Stellung“ nicht durchgekommen ist, versuchte er es links und rechts davon, wo es ihm auch gelang. Uns ließ er in Ruhe, was uns nicht weiter störte. Aber diese Ruhe wäre uns bald zum Verhängnis geworden. Denn der Russe war bereits hinter unseren vordersten Linien und wollte uns einkesseln. Doch unser Kompanieführer Leutnant Knot, ein Rheinländer, erkannte die Gefahr fürh genug und führte uns bei Nacht und Nebel aus dieser Gefahr heraus. Kampflos nahm der Russe nun die „Bären-Stellung“ bei Wischomir ein. In den nächsten Tagen legte sich der Sturm. Hüben wie drüben war es ruhig und wir lagen in aller Ruhe in einer kleinen Waldwiese. Da kam 20. November der Befehl zum Rückzug. Der Russe war in Begriff einen größeren Kessel zu machen aus dem wir schleunigst heraus mussten. Bis zu den Fahrzeugen ging es im Laufschrift. Dann brausten wir mit Tempo in Richtung Westen. Die beiden Ortschaften Neubasuk und Koiniki mussten wir aufgeben. Fast die ganze Nacht sind wir durchgefahren, obwohl wir schon von beiden Seiten beschossen wurden. Als wir uns am nächsten Morgen bereits in Sicherheit glaubten, tauchten auf einmal russische Panzer hinter uns auf. Wir ergriffen aufs Neue die Flucht. Am 22. November wurde die Division, nachdem sie sich gesammelt hat, an einen anderen Abschnitt verlegt.
Im großen Wald von Kalinkowitschi.
Mein Kamerad Franz Schernthaner (geb. 17.2.1922; gef. 29.11.1943)
Nun wurden wir also im großen Wald von Kalinkowitschi eingesetzt. Niemand wusste, wo der Feind ist. Deshalb stießen wir vorsichtig unter der Führung von Zugführer Unteroffizier Walz, einem Schwaben, in den Wald hinein. Wir entdeckten den Feind beim Stellungsbau und kamen ganz nahe an ihn heran. Mit einem fürchterlichen Hurra und Geschrei überraschten wir ihn, sodass er alles liegen ließ und davonstürmte. Wir erbeuteten dort eine Menge Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die wir sofort vernichteten. Bald aber setzte der Russe zum Gegenstoß an und so sind wir gelaufen. So ging es in diesem Wald volle 14 Tage hin und her. Man wusste nie, wo der Feind lauerte, weshalb wir stets nach allen Seiten sichern mussten. Besonders gefährlich war der Russe wegen den Nachtgefechten, zu denen er oft aufgelegt war. Dazu kamen noch die Regenzeit und die kurzen Tage des Novembers, die den Tag nie richtig Licht werden ließen. Am Schlimmsten waren aber die russischen Baumschützen, denen wir nicht beikommen konnten, uns aber so manchen Toten kosteten. Als großen Unsinn betrachteten wir einen nächtlichen Angriff auf den von den Russen gut befestigten Eisenbahnstützpunkt. Bereits im Vorhinein war anzunehmen, dass dies ein Fehlschlag werden wird. So kam es auch am Ende. Vielen kostete dieses Vorhaben ihr Leben. Am 29. November 1943, früh am Morgen, traf es auch meinen zweiten guten Kameraden Franz Schernthaner. Während wir das MG laden wollten, traf ihn ein Infanterieschuss unterhalb des linken Auges. Blutüberströmt hauchte er, ohne noch ein Wort sprechen zu können, sein junges Leben in meinen Händen für die geliebte Heimat aus. Ein kurzes Gebet für ihn zu beten erlaubte doch der Kampf und so begleitete ich ihn in die ewige Heimat hinüber. Ruhe in Frieden!
Unsere seelische und moralische Verfassung war am Boden. Der Kampf war aussichtslos geworden in diesem Wald. Aber beim Russen war die Stimmung noch viel schlechter, wie wir von den Gefangenen erfuhren. Unter anderem lief eines Tages ein baumlanger Russe zu uns über. Das Gewehr, vermutlich aus der Zarenzeit, bereits so lange wie er, trug er auf der Schulter. Er stellte es an einen Baum und bat uns um Zigaretten, da sie nichts zu rauchen hatten. Nach einer Zigarette, die er sich sichtlich schmecken ließ und Befragung zum Zustand seiner Truppe wurde er nach rückwärts gebracht.
Ein anderes Mal kamen zwei ganz junge Russen mit einer Menge leeren Kochgeschirren als bei uns das Essen ausgegeben wurde. Sie baten um Essen für sie und ihre Kameraden, denn sie hätten schon lange nichts mehr gegessen. Die beiden haben sich bei uns wieder gut satt gegessen und wurden sodann zurückgebracht.
So war im Gegensatz zu den Russen bei uns genug zu essen und zu rauchen da. Und das ist bei einer kämpfenden Truppe sehr wichtig. Einen großen Beitrag zur Ausdauer in diesem Hexenkessel leistete unser Kompanieführer Leutnant Knot mit seinem unerschütterlichen Humor.
Trotz der schwere des Kampfes und dem zahlenmäßig weit überlegenen Feind vernichteten wir, das Schützen-Regiment 2, in den 14 Tagen, wo wir im Walde lagen, auf kleinem Raum laut Wehrmachtsbericht von damals, drei russische Infanterie-Divisionen mit samt der Ausrüstung. Eine Leistung, die nicht viele ihresgleichen in der deutschen Kriegsführung behaupten können.
Am 8. Dezember 1943 gaben wir, nach drei erbitterten Gegenstößen, den großen Wald bei Kalinkowitschi auf. Wir hofften, dass dies der letzte Kampf in Russland gewesen war. Denn es war zu vernehmen, dass wir nach Frankreich verlegt werden sollten. Als es vor uns wieder ruhiger wurde, bezogen wir erleichtert und aufatmend auf freiem Felde Stellung. Am 14. Dezember konnte ich ganz unerwartet auf Urlaub fahren.
Auf der Fahrt nach Frankreich.
Während ich im Urlaub war, wurde der Wunsch der 2. Panzer-Division erfüllt. Wir wurden nach Frankreich verlegt. Dies erfuhr ich am 12. Jänner 1944 in Linz an der Frontleitstelle, als ich dort nach dem Standort meiner Einheit fragte. Der Urlaub war recht angenehm. Nach Weihnachten und Neujahr daheim kam nach dem schweren Abschied die freudige Mitteilung, dass ich nun nicht mehr nach Russland fahren muss. Wenn nicht schon vor meinem Urlaub davon gesprochen worden wäre, hätte ich es fast nicht glauben können.
Frohen Mutes trat ich nun die Fahrt in den Westen an und kam am nächsten Tag wohlbehalten in Lille in Nordfrankreich an. Weiter ging die Fahrt über Arras nach Solesmes zum Regiment. Auf der Weiterfahrt zur Kompanie traf ich in Valentins am Bahnhof meine Kompanie, wie sie gerade aus Russland ankamen und noch mit dem Ausladen beschäftigt waren. So fuhr ich die letzte Strecke bis zu unserem Standort in Villers-en-Chauchiers mit meiner Kompanie. Dort bezogen wir angenehme Quartiere. Der Hausherr war schon ein älterer Mann und kannte Linz noch vom Weltkrieg, wie er mir einmal vertraulich und mit Zuneigung erzählte.
Wir standen nun einer ganz anderen Welt gegenüber. Im Vergleich zu Russland war alles so gepflegt und sauber in den Ortschaften, was sehr wohltuend auf uns einwirkte. Die Ruhe und die bedingte Sicherheit, sowie das geordnete Tagesprogramm des Dienstplanes wirkten sich sehr gut auf unsere Verfassung aus und so empfanden wir unsere Lage als recht angenehm. Als aber die Ersatzleute kamen, wurde wieder mit Gefechtsübungen und auch mit der Wiederholung der Grundausbildung begonnen. Natürlich gab es auch des Öfteren gemütliche Unterhaltungen und Kompanieabende. Einige Orte der näheren Umgebung waren Ivoy, Haspres, Avene, St. Aubert und Chambray. Vom Schicksal begünstigt konnte ich am 19. Februar 1944 in das Divisionserholungsheim am Attersee fahren. Ich war damals schon ein alter Diener der Kompanie. Freudigen Herzens fuhren wir, ein geschlossener Transport der Division, von Chambray über Douai nach Brüssel und von dort mit dem Ostendeexpress durch Deutschland und Österreich. Von Wien fuhren wir zur Ersatzkompanie nach Mährisch Weißkirchen. Dort traf ich auch einige alte Kameraden, die mit mir nach Russland gekommen sind, dann aber bald verwundet in die Heimat kamen.
Im schönen Salzkammergut.
Von Mährisch Weißkirchen sind auch noch Kameraden mitgefahren, sodass der vorgesehene Transport und auch das Erholungsheim in Unterach am Attersee voll belegt waren. Vom 25. Februar bis 16. März fanden wir im Hotel Sonnblick richtige Erholung. Täglich schneite es und so konnten wir vor lauter Schnee fast nicht mehr fort. Dennoch besuchte ich die Angehörigen meines gefallenen Kameraden Schernthaner in Buchenort 34. Sie hatten eine große Freude mit meinem Besuch. Trotz der schweren Aufgabe ihnen vom Sterben ihres Sohnes zu berichten. Nach Hause durfte ich aber nicht fahren, obwohl ich in meiner geliebten Heimat war. Dafür besuchten mich mein Vater und Schwester Anna. Am 16. März verließen wir die schöne, winterliche Bergwelt der Heimat.
An der Somme.
Wir fuhren diesmal über Straßburg nach Arras, mussten aber aufgrund eines Stellungswechsels der Division an die Somme über Amiens, Liomer nach Villers-Campsart, wo meine Kompanie lag, weiterfahren. Am 20. März 1944 kam ich dort an und meldete mich sogleich zum Scharfschützenlehrgang, der gerade zusammengestellt wurde. Von der Division kamen etwa 20 Mann zusammen und wir verbrachten einen Monat in Huppy. In völliger Abgeschiedenheit von der Division gaben wir jeden Tag einie Schuss mit dem Zielfernrohr ab und verbrachten den Rest des Tages mit dem Waffenreinigen. Bald waren wir gute Kameraden und verbrachten eine angenehme Zeit während des Lehrganges. Besonders lustig war es, wenn Kamerad Grande, ein Schlesier, seine humorvollen und geistreichen Reden schwang. Viel zu schnell aber verging die Zeit. Am 20. April wurde der Lehrgang beendet, den ich mit durchschnittlichem Erfolg beendet hatte. Jeder von uns kam wieder zu seiner Kompanie. Einerseits mit Freude, aber auch mit ein bisschen Wehmut, dachten wir doch oft an die schönen Tage beim Scharfschützenlehrgang zurück.
Anfang Mai, es war bereits warm, wurden wir aufgrund der verschärften politischen und kriegerischen Lage im Westen auf freies Gelände verlegt um dort Stützpunkte zu bauen, von denen aus wir eine Landung feindlicher Truppen verhindern sollten. Ein tiefgestaffeltes Verteidigungssystem wurde entlang der Kanalküste angelegt und so die schöne Landschaft zu einem Kriegsgebiet gemacht. Große Flächen wurden mit langen Baumstämmen, die tief in die Erde gegraben wurden, mit allerhand landwirtschaftlicher Maschinen verrammelt und so unbefahrbar gemacht.
In erhöhter Alarmbereitschaft lagen wir kampfbereit in unseren Stützpunkten. Besonders bei Nacht, um jeden Verdachtsmoment oder jedes ungewöhnliche Geräusch in der Luft sofort wahrnehmen zu können. Angesichts dieser Tatsache sahen wir mit bangem Herzen in die Zukunft, denn es stand uns etwas Furchtbares bevor, das spürten wir förmlich.
Meine Gruppenkameraden waren jetzt junge Kerle aus Thüringen. Thomas, Brandt und Fürst hießen sie. Sie waren recht willig, hatten aber noch keine Kriegserfahrung. Daher merkte man ihnen eine gewisse Nervosität auch gut an. Schon vier Wochen verharrten wir in dieser angespannten Situation, ohne das sich etwas Besonderes ereignet hätte.
Die Invasion.
Am 6. Juni 1944 in den frühen Morgenstunden sind die Westmächte, nach einem fürchterlichen Bombardement an der Küste der Normandie an Land gegangen. Das Geahnte wurde nun Wirklichkeit. Mit aller Wucht begann nun auch im Westen der Krieg und Deutschland hatte nun auf zwei Seiten den Feind stehen. Da nun der Feind Fuß fassen konnte und im Begriff war seine Brückenköpfe zu erweitern, wurden wir sofort nach der erfolgten Landung abkommandiert. Mit unseren Autos fuhren wir in südliche Richtung bis Paris, wo wir aufgrund eines Autodefekts übernachten mussten. Bei dieser Gelegenheit besichtigten wir auch Versailles ein wenig. Am nächsten Tag fuhren wir wieder weiter in Richtung Norden nach Caen und St. Lo. Nun ging es also in den Raum der Invasion. Eine Woche lang fuhren wir durch die schöne Normandie. Wir fuhren fast nur bei Nacht um nicht den vielen Tieffliegern ausgesetzt zu sein. Das Herz tat einem weh, als man mitansehen musste, wie die herrliche Landschaft von den vielen Bomben umgepflügt wurde.
Am 13. Juni erreichten wir das Marschziel und somit auch die Front. Während einer Lagebesprechung der Offiziere gingen wir in Bereitstellung. Es dauerte nicht lange, da schoss der Tommy (Anm. deutsche Bezeichnung für den britischen Soldaten) schon Störungsfeuer in unseren Raum. Bald kam der Befehl zum Angriff. Die vielen Heckenreihen und Obstgärten hinderten uns aber in breiter Front vorzugehen. So mussten wir der Straße entlang vorgehen. Das Dorf vor uns war feindfrei. Wir bogen rechts ein und marschierten auf das nächste Dorf zu. Wir kamen dem Dorf immer näher. Plötzlich fiel ein Schuss. Wir wussten nun, dass dieses Dorf vom Feind besetzt war. Als MG-Schütze der Spitzengruppe gab ich diese Meldung nach hinten. Daraufhin kam der Befehl zum Angriff. Wir lagen im Straßengraben in Deckung und bemerkten, dass der Ort von Panzern gesichert wurde. Ein Blick zum Himmel deutete an, unsere liebe Frau möge uns in Schutz nehmen. Der Kampf war ziemlich aussichtslos, es fehlte an schweren Waffen.
Unter vielen Verlusten zogen wir uns entlang des Straßengrabens zurück. Zu allem Unglück stand auf der Straße ein abgeschossenes Munitionsfahrzeug, dass nun der Tommy in Brand schoss. Es explodierte. Dabei bekam ich zum Glück nur einen Schuss durch die Gasmaske.
Endlich kam ein Lichtblick. Unsere Panzer kamen nach und stießen links von uns in das Dorf hinein. Nach einem schweren Kampf konnten wir in das Dorf Villers-Bocage, rund 25 Kilometer westlich von Caen gelegen, einziehen. Wir durchsuchten alle Häuser und folgten dem Feind ins nächste Dorf. Wir unternahmen einen Spähtrupp. Dabei wurden wir entdeckt und angeschossen. Kamerad Peifuss wurde verwundet. Als wir ihn zurücktragen mussten, wären wir beinahe von den Tommys gefangen worden. Ein alleinstehendes Häuschen bot uns einen Unterstand für die herannahende Nacht. Der erste Tag im Kampf gegen den Tommy war zu Ende und wir merkten bereits, dass auch dieser sehr zäh und verbissen zu kämpfen gewillt war.
Frühzeitig am 14. Juni sind wir zum Angriff auf das Dorf angetreten. Die Gruppe, welcher ich angehörte, bekam den Befehl, die rechte Flanke der Kompanie zu sichern. Bei einem kleinen Haus ging ich mit meinem MG in Stellung und war sehr froh, dass ich nicht unmittelbar am Kampf beteiligt sein brauchte. Als die anderen Kameraden sich davon überzeugt hatten, dass das Vorfeld feindfrei sei, gingen wir in das Haus um nachzusehen, ob sich noch Menschen darin befinden. Es stellte sich schnell heraus, dass diese alle fort waren, weshalb wir uns auf die Suche nach Esswaren machten. So ist es eben üblich bei Soldaten im Kampfe. Zu unserem größten Erstaunen fanden wir Lebensmittel und Getränke in Hülle und Fülle. Wir aßen und tranken reichlich. Kekse, Schokolade und Wein nahmen wir mit. Angesichts dieser Umstände waren wir dem Kampf so ferne. All dies obwohl neben uns ein heftiger Kampf tobte. Erst als der Befehl zum Nachrücken zur Kompanie kam, wurden wir uns wieder unserer Aufgabe bewusst. Der Angriff brach dann auch vor dem Dorf zusammen und wir mussten uns verschanzen. Der Kampf ebbte ab und meine Gruppe und ich mussten am Nachmittag einen großangelegten Spähtrupp in die rechts von uns gelegenen Ortschaften machen. Doch wir waren dabei auf keinen Feind gestoßen und kehrten mit dieser Meldung zur Kompanie zurück. Mit Einbruch der Dunkelheit begann beim Tommy ein andauerndes Motorengeräusch. Nun hatten wir also den Engländer vor uns, was auf nichts Gutes schließen ließ.
Die Ruhe und Stille, die am Morgen des 15. Juni auf der Feindseite herrschte, machte uns unruhig. Wir wagten uns mit einem Spähtrupp in das Dorf und sahen, dass es gänzlich leer von Menschen war. Der Tommy hat sich zurückgezogen und dabei sehr viel an Kriegsmaterial liegen gelassen. Während wir dies sorgfältig einsammelten, beschlagnahmte unser Bataillonskommandeur Hauptmann Monschau den gesamten Wein aus den Kellern. Die Engländer bezogen währenddessen einige Kilometer weiter hinten eine feste Verteidigungslinie. Die nächsten drei Tage blieben ohne nennenswerte Kampfhandlungen.
Am 19. Juni wurden wir aus diesem Kampfraum gezogen und weiter westwärts in die Umgebung von St. Lo gezogen. Nun hatten wir statt dem Engländer, den Amerikaner vor uns. Auf der Fahrt dorthin hatte unser Fahrzeug einen Reifendefekt und wir kamen nicht mehr mit der Kompanie mit. Wegen Feindeinsicht konnte bei Tag nicht weitergefahren werden. Notgedrungen verbrachten wir deshalb in einem Bauernhaus den Tag. Die Bauersleute bewirteten uns sehr gut und wir bekamen ein ordentliches Mittagessen mit Rindfleisch, Kartoffeln, Milch, Butter, Brot, Most und Bäckereien. Neben dem Waffenreinigen und Körperpflege wurde auch ein Brief an die Lieben in der Heimat geschrieben. So haben wir diesen Tag mit großem Behagen verbracht. In der Nacht zum 21. Juni kamen wir wieder zu unserer Kompanie. Hinter einer Heckenreihe, welche es dort zur Genüge gab, bezogen wir Stellung. Der Ami war anscheinend nicht zum Angreifen gewillt, denn er hatte den Brückenkopf, um seinen Nachschub an Land zu bringen, bereits fest im Besitz. Dennoch schoss er immer wieder mit Artillerie in unsere Stellungen. Leider waren unsere schweren Waffen nicht in der Lage dem Ami in gleichem Maße zu antworten. So war es auch in den darauffolgenden Tagen.
23. Juni 1944 – Der schicksalsschwere Tag.
Den ganzen Tag über lagen wir unter Artilleriefeuer. Wir beachteten die einzelnen Schüsse nicht mehr im selben Maße wie einen Feuerüberfall. Als Deckung schützte uns ein Erdaufwurf, auf dem ein lebendiger Zaun gepflanzt war. Dieser diente zudem als Weidezaun der dortigen Viehwirtschaft. So war auch zwischen uns und den Amerikanern eine solche Weide auf welcher etwa 20 Kühe und Stiere brüllend vor Durst umherliefen. Zum Teil lagen auch welche bereits verendet durch die Kriegseinwirkungen herum. Es war ein erschütterndes Bild. Zumal auch aufgrund der hochsommerlichen Hitze ein stechender Verwesungsgeruch in der Luft lag.
Nach diesen Eindrücken brach der Abend herein. Es war gegen 8 Uhr und ich stand auf Posten. Ich bedauerte die Natur und jede Kreatur ob dieses furchtbaren Krieges der über sie hereinbrach, als ob sie schuldig daran wären. Die Normandie, ein so herrlicher und gesegneter Landstrich. Doch mittlerweile von Bomben und Granaten zu einem einzigen Felde umgepflügt. Ein trauriger Anblick.
Plötzlich hörte ich eine Granate knapp über mich hinwegpfeifen. Ich dachte nur: „Die ist schon weg, die tut mir nichts mehr.“ und ich drehte etwas, um den Einschlag zu sehen. Zwanzig Meter hinter mir sah ich nun eine Rauchwolke aufsteigen. Auf einmal verspürte ich einen ganz leisen Schlag an meiner rechten Hand. Im ersten Augenblick schenkte ich dem kaum Beachtung. Als aber plötzlich warmes Blut an meiner Hand herunterrieselte, wollte ich sofort nachsehen, konnte aber meine Hand nicht mehr in die Höhe heben. Denn mein Ellenbogen tat nicht mit. Nun merkte ich, dass ich verwundet wurde und rief sogleich meinen Kameraden Brandt auf Posten. Ich lief aber so schnell ich konnte zurück zum Sanitäter. Dieser leistete mir erste Hilfe und jetzt realisierte ich erst die Größe und Schwere meiner Verwundung. Ein Granatsplitter hat mir das rechte Ellenbogengelenk durchschlagen. Infolge des enormen Blutverlustes konnte ich nicht mehr gehen. Eine weitere Wunde an der rechten Darmbeinspitze begann ebenfalls zu schmerzen. Der Splitter ging durch das Ellenbogengelenk und weiter in die Bauchdecke, wo er schließlich stecken blieb. Jede kleinste Bewegung verursachte nun heftige Schmerzen. Außerdem kam schnell die Sorge um meinen Arm. Inmitten dieser körperlichen und seelischen Schmerzen kam mir unwillkürlich, gleichsam als Trost und Balsam, der gute Gedanke, dass Jesus viel mehr gelitten hatte. Mit diesem „unvergleichbaren“ Vergleich nahm ich meine Schmerzen und somit mein Schicksal gottergeben an. Inzwischen kam das Sanitätsfahrzeug herbei und brachte mich zum Hauptverbandsplatz. Aufgrund meiner Transportunfähigkeit, lag ich dort die nächsten zwei Tage. Bereits am darauffolgenden Tag besuchten mich sowohl Leutnant Knoth als auch Hauptfeldwebel Senf. Zu meiner großen Freude über ihren Besucht brachten sie auch noch Schokolade und Schaumwein mit.
Am 25. Juni wurde ich sodann ins Lazarett überführt, wo sogleich eine Röntgenaufnahme durchgeführt wurde. Es stand schlimm um meine Hand und ich befürchtete sehr, dass sie nicht zu retten sein könnte. Der Splitter, der in der Bauchdecke stecken blieb, wurde noch am Hauptverbandsplatz herausoperiert und in meine Tasche gesteckt, sodass ich ihn mit nach Hause nehmen konnte. Die Schmerzen in der Hand wurden immer stärke und das Röntgenbild zeigte an, dass das Ellbogengelenk gänzlich zersplittert war. So machte der Stabsarzt die erschreckende Mittelung, dass der Arm trotz aller ärztlichen Kunst nicht mehr zu retten sei. Eine traurige Nachricht war dies. Aber ich nahm auch dies Opfer willig an. Denn was Gott tut, das ist wohlgetan. Am Nachmittag des 27. Juni 1944 wurde mir im Lazarett in Bagnoles der rechte Arm abgenommen.
In verschiedenen Lazaretten.
Als ich nach der Operation erwachte, lag ich im Bett als ob nichts geschehen wäre. Und doch merkte ich bald, dass sich an mir etwas verändert hat. Die Schmerzen waren fast weg. Aber als ich die Hand mit der linken Hand fühlen wollte, griff ich ins Leere. Nun sah ich mich verstümmelt im Bette liegen und weinte bittere Tränen. Mein erster Gedanke war nun: „Was werde ich mit einer Hand anfangen? Was werde ich jetzt machen?“
In diesem ausweglosen Grübeln fiel mir wieder ein gutes Sprichwort ein. Und zwar: „Der Herr schlägt die Wunden, er spendet aber auch den Balsam.“ Dieser Gedanke half mir leichter über mein Schicksal hinweg und gab mir Antrieb zum Schreiben, wozu ich in den nächsten Tagen angehalten wurde. Ein Kamerad aus Bayern schrieb mir diese traurige Nachricht in die Heimat. Am 10. Juli schickte ich den ersten Brief, welchen ich mit der linken Hand schrieb, ab. Die Wunde machte gute Heilungsfortschritte und so wurde ich am 15. Juli nach Le Mans verlegt. Nach zwei Tagen schon kam ich ins Lazarett in Garches, einem Vorort von Paris. Nach zehn Tagen kam ich nach Epinal in den Vogesen. Dort konnte ich schon aufstehen und mein Zustand verbesserte sich zunehmend. Nach einer Woche wurde ich in die Heimat verlegt. Der Lazarettzug fuhr durch ganz Deutschland. Erst in Krotoschin (polnisch: Krotoszyn), kurz vor Posten, also ganz im Osten des Reiches, wo ohnehin schon bald der Russe kam, befand sich das Lazarett. Eine Ironie ohne ihresgleichen. Die Folge war nun, dass wir bereits nach acht Tagen schon wieder wegmussten. Das gesamte Lazarett wurde nach Theresienstadt in Nordböhmen verlegt. Dort lag ich vom 15. bis 29. August. Der Armstumpf war schon zugeheilt, die Wunde an der Darmbeinspitze eiterte aber noch immer. Da dies aber keine besonderen Schmerzen verursachte, konnte ich oft in die nahegelegene Stadt Leitmeritz an der Elbe ausgehen. Dort besuchten wir des öfteren das Kino. Immer wieder ging ich auch in eine kleine Kirche.
Am 29. September wurde ich dort entlassen zur ambulanten Behandlung in Freistadt. Auf der Heimfahrt musste ich in Prag, der goldenen Stadt, übernachten. Am 30. September 1944 kam ich schließlich zuhause an. Der Gang nach Hause wurde mir unsäglich schwer. Nun musste ich also meinen Eltern und Geschwistern die linke Hand zum Gruße reichen. Nach vier Wochen ambulanter Behandlung in Freistadt wurde ich nach Linz zur Heeresentlassungsstelle 3/17 zur Abrüstung geschickt. Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten in Bezug auf Berufswahl wurde ich am 13. Dezember 1944 von der deutschen Wehrmacht entlassen.
Mein Bruder Heinrich (geb. 29.4.1922; gest. 20.9.2002) diente als Infanterist in Frankreich und Russland.
Am 1. März 1945 trat ich den Dienst bei der Post beim Postamt in Grünbach an. Mein Bruder Heinrich überlebte ebenfalls den Krieg. Im Jänner 1942 zur Wehrmacht einberufen führte ihn der Krieg in den Einsatz nach Südfrankreich und Russland. Trotz einer schweren Verwundung an der Ostfront kehrte er im Mai 1945 nach Hause.
Der Um- und Nachwelt möchte ich durch diese Aufzeichnungen ein Dokument hinterlassen, dass der älteren Generation ein trauriges Mahnmal sein wird, der jüngeren Generation aber ein ernstes vom Kriege abschreckendes Zeugnis sein möge.
Josef Pilgerstorfer starb am 31. Juli 2000 im Alter von 76 Jahren. Sein Freund und Kamerad Franz Weidinger verstarb am 29. September 2013.
Josef Pilgerstorfer und Franz Weidinger. Aus Schicksalskameraden wurde echte Freundschaft, die zeitlebens verband.