In Pribram standen plötzlich Schwerbewaffnete um uns. Sie trieben uns in einen großen Hof. Hinter uns fuhr ein Lastkraftwagen mit einem MG auf. Als erster wurde ein Oberfähnrich an die Wand gestellt und erschossen. Das Volk, das aus den Fenstern sah, grölte Beifall. Es wurde uns alles weggenommen, sogar unsere Löffel. Sie brachten uns anschließend in eine Kaserne. Hier mussten wir zuerst die Zimmer ausräumen und die schweren Kästen ins Freie tragen. Sie schlugen mit Stöcken auf uns ein. Manche blieben bewusstlos liegen. Im Zimmer wurden wir zusammengepfercht, sodass wir kaum Platz zum Liegen hatten. Bei der Tür stand ein Posten. Die Fenster durften nicht geöffnet werden. Die entstandene Hitze war kaum zum Aushalten. Auf das WC durften wir nur einzeln gehen. Es kamen immer mehr Leute in die Kaserne. Am 15. Mai waren wir 2.000 Mann. Es gab nur einmal in der Woche ein kleines Stück Brot und einen Schluck Kaffee. Beim Aufstehen wurde uns schwarz vor den Augen.
Am 15. Mai brachten sie uns nach Königsaal, dies liegt an der Moldau südlich von Prag. Von 16 Uhr bis 12 Uhr mittags legten wir zirka 50 Kilometer zurück. Wer nicht mitkam, wurde erschossen. Es krachte die ganze Nacht. In Königsaal wurden wir den Russen übergeben. Wir lagerten auf einer großen Wiese zwischen der Moldau und einer Straße. Zweimal täglich bekamen wir etwas zu essen und wurden wieder wie Menschen behandelt. Acht Tage lagen wir auf der Wiese und hatten nichts zum Zudecken. Die Nächte waren kalt. Einmal hat es die ganze Nacht geregnet, woraufhin wir Zelte erhielten. Wir durften auch in der Moldau baden, aber wir mussten am Ufer bleiben, sonst wurde geschossen. Im Fluss schwammen tote Fische, welche wir aßen. Die Folge war starker Durchfall, der vielen das Leben kostete.
Am 2. Juni begannen wir einen zweitägigen Marsch nach Bistritz. Dort verbrachten wir einige Tage und zogen danach weiter nach Deutschbrod. Dieser Marsch dauerte drei Tage. Von Deutschbrod ging es in vier Tagen weiter nach Brünn. In diesem Ort wurden die Kranken und Abgemagerten nach Hause geschickt. Für die anderen ging die Reise weiter nach Russland.
Am 24. Juni marschierten wir zum Bahnhof. Es war ein sehr schöner Tag. Die Tschechen standen in großen Scharen an der Straße, glotzten und schrien uns zu: „Ihr kommt alle nach Sibirien!“ Wir sangen, dass es nur so hallte und stiegen in die Güterwaggons ein. 45 Männer wurden in einen kleinen Waggon hineingepfercht. In der Mitte war ein Loch, durch das wir die Notdurft verrichten konnten. Die Fenster waren vergittert. Wir hatten kaum Platz zum Liegen und die Fahrt ging nur sehr langsam vor sich, auch die Hitze war unerträglich. 13 Tage dauerte die Fahrt bis Marmaroschsiget. Zweimal gab es einen ganzen Maiskolben, gekochten Speck ohne Salz und Trockenbrot zu essen. Der Durst war furchtbar. Wenn es regnete, fingen wir das Wasser auf, das von Löchern im Waggondach tropfte. In Ungarn und Rumänien kamen Frauen zu den Haltestellen und wollten mit Tabak und Polenta handeln. Wir hatten aber nichts mehr zu verschachern.
Am 7. Juli kamen wir in Marmaroschsiget an. Dieser Ort liegt an der Grenze zwischen Rumänien und der Sowjetunion. Hier wurden die Mageren ausgesondert. Unter anderem Hammer Ferdinand aus Hellmonsödt war unter denjenigen dabei. Wie ich nach der Gefangenschaft erfuhr, kam er aber nicht nach Hause, sondern in den Kaukasus.
Die Fahrt ging am 9. Juli weiter in Richtung Ural. In Marmaroschsiget endete die Normalspur und auf der Breitspur ging es nun rascher dahin. Wir fuhren über Kasan nach Swerdlowsk im Uralgebirge. Dort kamen wir am 22. Juli an. Nach dieser langen Fahrt konnten wir kaum gehen. Das Lager war klein und total überfüllt. Wir wurden entlaust und mussten ein wenig arbeiten.
Am 1. August schickten sie uns ins Hauptlager. Wir waren 200 Mann. Hier wurden wir untersucht und in Arbeitsgruppen eingeteilt. Ich kam in die Arbeitsgruppe „3“. So kamen wir auf eine Kolchose. Die Heumahd hatte gerade begonnen. Wir mähten mit sehr langen Sensen. Es ging sehr gut und wir müssten viel arbeiten. Dafür bekamen wir zusätzlich zu essen. Nach einigen Tagen lief einer weg. Daraufhin durften wir nicht mehr ins Freie. Dieser Mann kehrte nach acht Tagen wieder zurück. Er sah aus wie ein Russe. Er hatte die Kleidung vertauscht.
Am 20. August übersiedelten wir (300 Mann) in ein zehn Kilometer entferntes kleines Lager. Wir wurden hauptsächlich zu Erntearbeiten eingesetzt. Die Kartoffelfelder waren riesig groß, die Kartoffeln jedoch klein. Die Gegend sah so aus, wie bei uns. Es gab sehr viel Wald, bedingt durch das raue Klima wurden nur Kraut, Rüben und Kartoffeln angebaut. Der Sommer war kurz. All das war im Ural, 40 Kilometer östlich von Swerdlowsk. Am 15. Oktober hatten wir dort schon eine eisige Kälte von 20 Grad minus.
Am 6. November kehrten wir wieder ins Hauptlager zurück. Als wir das Lager verließen, kamen junge Russen, die während des Krieges in Deutschland gearbeitet hatten, ins Lager. Sie ließen uns nicht zusammen, damit wir nicht mit ihnen sprechen konnten.
Im Hauptlager mussten wir Holz hacken. Mit der Bahn ging es in den Wald. die Bahnstrecke war zehn Kilometer lang und von Kameraden im Sommer gebaut worden. Wir bereiteten Brennholz zu. Die schönsten Bäume wurden zu zweieinhalb Meter langen Stücken geschnitten, auf Waggons verladen und am Abend in die Stadt gebracht. Hier warteten schon die Russen mit ihren Pferdegespannen. wir mussten das Holz umladen. Diese Arbeitstage waren lang und vor allem anstrengend. Im November war wenig Schnee, aber es hatte schon 50 Grad minus. Am 18. November fror ich mir drei Zehen. An den Zehen entstanden daumengroße Blasen. daraufhin wurde ich für 18 Tage krankgeschrieben.
Am 6. Dezember begann für mich wieder die Arbeit. An diesem Tag streikte die Lokomotive vor Kälte. Wir marschierten 12 Kilometer vom Lager bis in den Wald. Abends nahmen wir je zwei Prügel mit ins Lager, damit wir einheizen konnten. Nach einigen Tagen nahmen uns aber die Soldaten das Holz weg, damit sie selber Feuer machen konnten. Die Kälte wurde immer ärger und ging sogar durch Wattebekleidung, Filzstiefel und Pelze durch. Die Kälte ging bis in die Eingeweide, weshalb es Momente gab, wo ich die Toten beneidete.
Am 21. Dezember hatte es in Swerdlowsk 66 Grad minus. Wir standen eine volle Stunde beim Tor. Endlich schickten sie uns wieder in die Baracke zurück. Von Weinachten 1945 nahmen wir kaum Notiz, denn wir waren alle vollkommen fertig. Ein Kamerad schmückte einen kleinen Christbaum, und einige Musiker spielten bei Nacht in jeder Baracke „Stille Nacht, heilige Nacht“. Am Stefanitag trugen wir den ersten zusammengebrochenen Kameraden nach Hause. Es war sehr kalt und wir konnten ihn kaum schleppen. Er verlor den Handschuh und es fror ihm sämtliche Finger, die ihm später abgenommen werden mussten. Die Nase war ebenfalls gefroren. Die Haut wurde dabei ganz schwarz und nach sechs Monaten ging die schwarze Haut ab und sie war wieder normal.
Der Jänner 1946 war etwas wärmer, doch immerhin noch 50 Grad minus. Jeden Tag kippte ein Kamerad um. Ich hielt es bis zum 18. Jänner aus. Wir hatten noch vier Kilometer bis ins Lager. Ich verlor meine Holzprügel, war nicht mehr imstande sie aufzuheben, ging noch einige Schritte und verlor anschließend mein Bewusstsein. Sie trugen mich nach Hause. Als sich der Arzt über mich beugte, war ich für einen Moment wieder bei mir selbst. Das volle Bewusstsein erlangte ich erst im Lazarett. Bis 13. Februar blieb ich dort. Anschließend ging ein Krankentransport in ein Sanatorium nach Parawai in Kasachstan. Wir fuhren mit 120 Mann weg und kamen am 22. Februar mit 108 Mann an. Die zwölf Mann verstarben beim Transport. Hier ging es uns nun viel besser als im Lager. Alle zwei Wochen erhielten wir frische Unterwäsche. Ich trug noch Hemd und Unterhose von der Gefangennahme am 8. Mai 1945. Sie war noch nie gewaschen worden. Wir hatten nichts zu tun, bekamen wenig zu essen und konnten viel schlafen. Zu zweit mussten wir uns ein Bett teilen, weil alles überfüllt war. Alle Monate wurden wir gewogen. In den neun Monaten Gefangenschaft hatte ich 28 Kilo abgenommen. In jedem weiteren Monat nahm ich je ein Kilo zu. Dennoch starben viele. Am 1. Mai 1946 waren wir noch 60 Mann.
Am 23. August wurde das Sanatorium aufgelöst. Die Kranken wurden nach Hause geschickt und wir kamen wieder ins Arbeitslager. Wir fuhren einen halben Tag Richtung Aksmolenks. Sie holten sechs Mann heraus. Wir waren zwei Österreicher und vier Ungarn und wir mussten in einem Lager arbeiten. In den ersten acht Tagen schliefen wir bei der Stadtfeuerwehr auf dem Fußboden. Das Essen bekamen wir in einem Speisehaus. Die Bedienung war prompt. Ein Kellner sprach einige Worte ungarisch. Eines Tages kam ein Feuerwehrmann bei der Tür herein, hängte seinen Mantel auf und sagte zu mir: „In meiner Manteltasche sind Kartoffeln, hol sie dir!“ Der nette Feuerwehrmann war vier Jahre in Deutschland in Gefangenschaft gewesen. Ein Jahr verbrachte er im Lager, da ging es ihm sehr schlecht. Weitere drei Jahre war er bei einem Bauern tätig und dort ging es ihm sehr gut. Deutsche gab es in Russland überall und sie sprachen perfekt deutsch. Einmal besuchten wir einen alten Mann, der vier Jahre in Gefangenschaft gewesen war. Er erzählte uns, er habe nie deutsch gesprochen, denn die Deutschen haben sie zur Wehrmacht gesteckt und sie mussten so gegen Russland kämpfen. Er wollte wieder nach Hause und hatte eine Tochter, die deutsch sprach, aber seine Frau nicht. Dann kamen noch einige Nachbarn, die auch Deutsche waren. Sie fragten uns nach ihren Söhnen, welche bei der SS waren. Wir konnten ihnen keine Auskunft geben. Acht Tage später wurden wir in eine Baracke verlegt, die fünf Kilometer von der Stadt entfernt war. Wir kochten uns selber und von 9 bis 17 Uhr arbeiteten wir fleißig. Ein Ungar verließ um 16 Uhr die Arbeitsstätte, ging nach Hause und kochte für uns. Zu Mittag gab es eine kurze Pause. Diese Gelegenheit nutzten wir aus und gingen zu einem nahen Basar. Dort kauften wir Milch und Brot. Ich besaß zehn Pakete Tabak, welche ich dort um 50 Rubel verkaufte. Als ich einmal mit einem Wiener zum Markt ging, verfolgte uns ein Russe. Er erzählte uns, er sei auch aus Wien und seit 1915 in Russland. Es ging ihm aber nicht schlecht.
Am 10. September kam ein Posten und der Wiener und ich mussten nach Aksmolenks ins Lager. Die vier Ungarn blieben noch weitere 14 Tage. Am Bahnhof überraschte uns schließlich eine Frau mit Kuchen. Die Russen waren gute Leute, aber sehr arm. Wir fuhren die ganze Nacht durch. Im Schlafwagen gab es drei Etagen mit 72 Liegeplätzen.
Am Morgen erreichten wir Aksmolenks. Leibesvisitationen wurden durchgeführt und somit war es mit der Freiheit wieder aus. Wir kamen zum Kommando Gartenstadt. Es wurden hier Wohnhäuser errichtet und die Arbeiten wurden von Gefangenen verrichtet. Wir waren 500 Mann, die am Morgen am Bahnhof vorbeikamen. Die Züge verkehrten in Moskauer Zeit, also bestand drei Stunden Zeitdifferenz.
Am 30. November kam ich mit einem Transport mit 200 Mann nach Petropawlowsk. Die Fahrt dauerte sechs Tage. Es war ein kleines Lager mit 800 Mann. Wir arbeiteten auf einem Frachtenbahnhof und in einem Dampf-E-Werk, wo wir Erdarbeiten verrichteten. Der Boden war oft einen Meter tief gefroren, wodurch sie sich die Schalung ersparten. Dieser Winter war Gott sei Dank nicht so kalt wie jener 1945.
Im Jänner 1947 gab es wieder eine Untersuchung. Die Mageren wurden „O.K.“ geschrieben. Wir mussten ab nun nur noch Gelegenheitsarbeiten verrichten.
Im April beschäftigten sie uns in einer Traktorenstation, welche zehn Kilometer entfernt lag. Wir hausten in einem Bunker ganz nahe am Ischim. Der Ischim ist ein Fluss vergleichbar mit der Donau.
Unsere Aufgabe war es, Garagen zu bauen und so manches zu reparieren. Wir waren wieder frei und konnten uns bewegen, wie wir wollten. Wir kochten Brennnesseln. In der Nacht stahlen wir kleine Zwiebel vom angrenzenden Feld, welche die Russen normalerweise büschelweise verkauften.
Am 30. April erhielt ich nach zwei Jahren das erste und auch letzte Mal Post von zuhause. Es waren ein Brief und drei Karten. Der Brief war neun Monate alt und ich war sehr glücklich über die Nachricht von zuhause und las die Post immer wieder.
Alle drei Wochen durften wir ein Bad und eine Sauna nehmen. Die Kleidung wurde zudem entlaust. Auch frische Unterwäsche gab es zum Anziehen.
Am 2. Juli kam ein Posten zur Traktorstation und holte die Österreicher ab. Wir zwei Männer wurden in ein Lager übersiedelt. Dort befanden sich ungefähr 30 Österreicher. Mit dem nächsten Zug ging es nach Aksmolenks. Ein Oberleutnant teilte uns mit, dass die Österreicher nach Hause fahren könnten, weshalb er uns vorzeitig wegschickte.
Am 5. Juli fuhren wir 200 Mann nach Karaganda. Karaganda ist ein Kohlegebiet in Kasachstan und liegt 4.000 Kilometer östlich von Stalingrad. Dort waren 30.000 Mann beschäftigt. Als wir in Karaganda ankamen, wusste niemand etwas vom nach Hause fahren. einer hatte Malaria und als wir ins Bad gingen, fiel er tot um. Das ganze Gebiet war Malariaverseucht. Die Gegend war ganz eben und es gab keine Bäume. Nur an den Teichen und Sümpfen standen Sträucher und Birken.
Am 15. Juli kamen wir 40 Mann auf eine Sowchose zu Erntearbeiten. Die Heuernte hatte bereits begonnen. Wir mussten täglich zehn Stunden arbeiten und hausten in einem Stall. Das Vieh war den ganzen Tag im Freien. Die Sowchose hatte 1.700 Hektar und war ein Musterbetrieb. Die einzelnen Felder hatten eine Größe von 100 Hektar. Gerste, Roggen, Hafer, Kartoffeln, Tomaten, Gurken, Sonnenblumen, Karotten und Zwiebel wurden angebaut. Das Viehfutter bestand aus Grassamen. Die unbebaute Fläche dort, war Steppe. Das Gras wuchs nur einige Zentimeter hoch. Sie hatten 300 bis 400 Kühe und Jungrinder, die den ganzen Sommer auf der Weide waren. Morgens und abends wurden sie bei aufgestellten Melkanlagen gemolken. Im Juli brachten sie die Milch in einem 800 Liter Fass unter. Im September benötigten sie nur noch fünf Kannen dazu. Die Heuernte ging so vor sich: Das Gras wurde mit fünf Pferdemähmaschinen gemäht. An jede Maschine wurden zwei Ochsen angespannt und ein Pferd vorgespannt, auf dem eine Person saß. Das Gras blieb dann einige Tage liegen und wurde anschließend zusammengegabelt. Nach einigen Tagen schob man es zu großen Haufen zusammen. Nach acht Tagen kamen sie mit dem Ochsengespann. Sie legten ein Seil um den Haufen und zogen ihn 100 bis 200 Meter weit. Anschließend wurde alles zu einem Riesenhaufen zusammengebracht. Es wurde alles im Freien gelagert.
Dann kam die Dreschzeit. Sie hatten zwei große Mähdrescher, welche von Raupenfahrzeugen gezogen wurden. Die Dreschzeit dauerte vier Wochen lang. Das Wetter war immer schön, Niederschläge gab es selten. Das Getreide wurde in Säcken abgefüllt und mit Ochsenwägen zusammengebracht. Mit Lastkraftwägen kam es zur Sowchose. Das Getreide schüttete man im Hof unter freiem Himmel wieder auf. Der Hof hatte ein Ausmaß von 50 mal 100 Metern. Der Haferhaufen wurde bald von den Pferden entdeckt. Einmal fing es an zu regnen und das Wasser floss durch den Getreidehaufen. Das Getreide wuchs daraufhin am Boden an.
Auf dieser Sowchose wurden ungefähr 70 Pferde und 70 Ochsen eingespannt. Bei Nacht durften die Tiere weiden. Auch ich fuhr einige Wochen mit zwei Ochsen. Unsere Partie bestand aus neun Gefangenen und einem Russen. Die Tage waren lang und es wurde bis etwa 10 Uhr abends gearbeitet.
Auf dieser Sowchose gab es viele Deutsche. Ein Mann erzählte uns, sein Vater wurde 1908 in Asien angesiedelt. Er war vorher an der Wolga und hatte 50 Kühe und 30 Pferde. 1929 haben ihm die Kommunisten alles weggenommen. Er wurde eingesperrt und seine Frau auf die Straße gejagt. Jetzt war er Aufseher und ritt den ganzen Tag auf seinem Pferd durch die Gegend und sah nach dem Rechten. Er sprach nur mit uns, wenn es niemand sah.
Einmal ersuchten uns einige Russen, nach Feierabend eine nasse Wiese zu mähen. Zwei Wochen benötigten wir dazu. 100 Rubel und genug zu essen war unsere Belohnung dafür. An die Weise grenzte ein großer Obstgarten. Die Äpfel waren schon halb reif. Wir klauten immer einige davon, obwohl alles bewacht wurde. In der Reifezeit wurden alle Felder rund um die Uhr beobachtet. Der Russe, für den ich mähte, hatte am Dorfende sein Haus. Es war ein kleines, niedriges Gebäude, das aus einem kleinen Vorraum, einer Küche und einem Schlafzimmer, wo ein eisernes Bett stand, bestand. Es gab keine Türen von Zimmer zu Zimmer. Dort lebte ein junges Ehepaar mit Kind und Großmutter. Der Ofen war gemauert, der Rauchfang war aus alten Blecheimern zusammengesteckt, die keinen Boden mehr hatten, und mit Lehm verschmiert. Es gab keinen Fußboden, nur gestampften Lehm, aber elektrischen Strom und einen Radio gab es. Die Leute dort waren sehr gut zu mir. Neben dem Häuschen befand sich ein kleines Stück Grund im Ausmaß von zirka 30 Ar, das ihnen gehörte. Hier hatten sie Kartoffeln, Kraut, Tabak und Sonnenblumen angebaut. Sie besaßen eine Kuh, die im Sommer auf der Sowchose weiden durfte.
Am 5. Oktober kehrten wir wieder ins Lager Karaganda zurück und wurden zur Kohlegewinnung ins Bergwerk eingeteilt. Ein zweiter Österreicher kam mit mir in diese Rumänenbrigade. Am ersten Tag dachte ich, in der Hölle könne es auch nicht schrecklicher sein, als hier. Aber man gewöhnt sich an alles. Ich arbeitete im Schacht 40 und verrichtete Schichtarbeit. Eine Schicht bestand aus 100 Mann. Die Gegend in Karaganda ist ganz eben und die Kohle lag nur 30 bis 40 Meter unter der Erde. Zur Arbeitsstätte mussten wir über eine Stiege mit 30 Stufen und zirka zwei Kilometer tief hineingehen. Es befand sich überall eine 1,80 Meter mächtige Kohlenschicht. Der Haupteingang wurde herausgesprengt, er war vier Meter breit und drei Meter hoch. Es wurden Schienen verlegt, damit die Kohle abtransportiert werden konnte. Ein etwa 200 Meter breiter Streifen Kohle wurde seitlich abgebaut. Hier wurde eine Rutsche montiert, die mit zwei E-Motoren angetrieben wurde. Wenn ein drei Meter breiter Streifen Kohle abgebaut war, musste die Rutsche wieder umgebaut werden. Wir benötigten große Mengen Holz zum Pölzen. Die Kohle wurde gesprengt, anschließend in die Rutsche geschaufelt und am Ende fiel sie in einen Waggon. Diese Waggons wurden mit Seilzug ins Freie befördert. Die Waggons wurden nach der geförderten Stückzahl angeschrieben. Es wurde immer geschwindelt, denn in Russland gab es für jede Arbeit ein Plansoll. Wenn wir mehr als 100 Prozent schafften, gab es Marken. Damit konnte man in der Kantine billig einkaufen.
Kameraden, die jahrelang in den Kohlegruben arbeiteten, bekamen monatlich 200 Rubel. Die anderen gingen leer aus. So bekam ich nie etwas. Die Arbeit war schwer. Man benötigte immer eine Lampe, Frischluft wurde hineingeblasen und so entstand eine unangenehme Zugluft. Abends nach dem Duschen mussten wir die schmutzigen Kleidungsstücke wieder anziehen. Die Schicht wurde alle zwei Wochen gewechselt. Vier Tage im Monat bekam man frei. Wir hausten in Baracken, die vollständig unter der Erde waren. Es gab nur kleine Fensterschächte. Das Dach wurde mit Erde zugeschüttet. Es war sehr feucht, aber im Winter sehr warm.
Am 2. Dezember gab es nach der Schichtablöse unter den Rumänen ein Palaver. Einer teilte mir daraufhin mit, dass die Österreicher nach Hause dürften. Als wir ins Lager kamen, spielte Musik und wir alle waren erfreut.
Am 4. Dezember wurden wir namentlich verlesen. Einige waren nicht als Österreicher in der Kartei, diese mussten leider zurückbleiben. Acht Kilometer marschierten wir zum Bahnhof. Es war sehr kalt, der Schnee lag 20 Zentimeter hoch. Am Bahnhof trafen wir Österreich von anderen Lagern. Insgesamt waren wir 900 Mann. Eine Musikkapelle spielte flotte Märsche. Am Abend setzte sich der Zug in Bewegung. Unsere Waggons wurden an Lastzügen angehängt, denn in Russland verkehrten die Züge nur mit 120 Achsen. Es ging sehr langsam vorwärts. Zu Weihnachten wollten wir zuhause sein.
In Woronesch hatten wir einen Aufenthalt von zwei Tagen. Wir gingen in eine Sauna. Die Kleidungsstücke wurden entlaust. Vor der Grenze gab es noch eine Untersuchung wegen Blutgruppentätowierungen. Die SS-Angehörigen hatten ihre Blutgruppe unter dem Oberarm tätowiert. Diese Personen mussten aussteigen und wurden zurückgeschickt.
Am 26. Dezember erreichten wir die Stadt Marmaroschsiget. Die Leute gingen gerade zur Kirche. Die Glocken läuteten. Es war herrlich. Glockengeläute bekamen wir die ganzen Jahre nie zu hören. Vor uns waren schon 4.000 Mann angekommen, und nach uns kam noch ein weiterer Transport. Insgesamt waren wir dann 6.000 Mann. Das Wetter wurde wärmer, es begann zu tauen.
Marmaroschsiget liegt in den Karpaten und gehört heute zu Rumänien. Die Bevölkerung ist ungarisch, denn das Gebiet gehörte früher zu Österreich-Ungarn. Wir mussten über den Fluss Theiß, aber dem Hochwasser hielt die Notbrücke nicht stand, und so mussten wir warten. Als das Wasser zurückging, wurde die Brücke in einer Zeit von fünf Wochen wieder aufgebaut.
Am 20. Februar 1948 fuhren wir von Marmaroschsiget ab. Im Schritttempo passierte der Zug die Brücke. Die Theiß ist dort breiter als die Donau in Linz. Über Budapest ging es dann nach Wiener Neustadt.
Am 24. Februar kamen wir um 6 Uhr früh in Wiener Neustadt an. Am Nachmittag fuhr ein Sonderzug über Wien – Linz – Innsbruck. Hier wurden die Oberösterreicher, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger nach Hause gebracht. Der Zug bewegte sich langsam vorwärts. In der Umgebung sah man, dass sehr viel vom Krieg zerstört worden war.
Um 11 Uhr nachts begrüßte uns in Linz Landeshauptmann Gleißner. Die Geschwister Buchberger sangen für uns das Lied „Hoamatland“. Auch die Magistratskapelle spielte für uns. Nun ging es weiter in die Max-Kaserne. Dort übernachteten wir. Den Entlassungsschein mussten wir als Pfand abliefern.
Am 25. Februar gab es am Morgen frische Kleidungsstücke. Die Fahrt ging weiter nach Urfahr. Wir brachten einen Begleiter von der Kaserne, denn wir hatten keine Ausweise.
An der Donaubrücke saß ein Russe. Im Waggon wurden wir von einem Russen gezählt und konnten anschließend die Brücke passieren. Im Hotel Achleitner gab es zu essen und ein Paket für uns.
Nun waren wir frei!
Wir Freistädter gingen zur Bushaltestelle und fuhren bis Freistadt. Der Bus war ein alter Holzkasten, in dem man hinten einsteigen und auf Holzbänken sitzen musste. Der Bürgermeister aus Freistadt, Herr Zemann, begrüßte uns. Im Gasthaus Hirsch bekamen wir ein Mittagessen. Am Nachmittag fuhr ich mit den Puchmeier Brüdern aus Windhaag nach Hause.
Drei Jahre und zehn Tage war ich von meinem Elternhaus in Unterpaßberg 3 weg. Nach meiner Heimkehr musste ich mich wieder langsam an alles gewöhnen.